Texte zur Spraybanane

 

Gelbe Farbe geht niemals aus

Mit Anfang 20 war er der Schreck aller Ordensschwestern vom Niederrhein. Später zitterten die Stadtoberen von Köln vor der mysteriösen Lackbanane. Und heute betteln Galeristen auf Knien um eine gesprühte Banane. Wie aus Thomas Baumgärtel einer der angesagtesten Pop-Art-Künstler wurde. SWR3 Reporter Andreas Hain hat den Bananensprayer in seinem Atelier in Köln besucht

In einer alten Industriehalle in Köln-Nippes düst Thomas Baumgärtel mit seinem Aluroller von seinem Schreibtisch rüber ins Atelier. „Das sind 400 Quadratmeter – ich werd’ sonst fußlahm“, flachst er und steigt ab. Aber so viel Platz braucht er, denn die meisten seiner Werke sind übermannsgroß. Sie haben alle etwas gemeinsam und wirken, als hätte Thomas einen geheimen Pakt mit einem Handelsvertreter für gelbe Farbe geschlossen. Denn die knallgelbe Banane ist sein Markenzeichen. Am liebsten gesprüht und am allerliebsten in Situationen, die nichts mit Obst zu tun haben. Alles fing vor über 20 Jahren in einem katholischen Krankenhaus am Niederrhein an. Über jedem Patientenbett hing ein kleines Holzkreuz mit einem Porzellanjesus. Als der junge Thomas eines Morgens ins Zimmer kam, lag eines dieser Kreuze auf dem Boden und der Jesus in Scherben. „So konnte das nicht bleiben“, erinnert er sich. „Ich kehrte die Scherben zusammen und drückte eine Banane auf die Nägel, die noch im Holz waren. “ Die Patienten freuten sich diebisch und konnten – der Sage nach – plötzlich wieder laufen. Nur die Ordensschwestern mussten sich erst einmal setzen und tief Luft holen. „Krumm genommen hat mir das niemand richtig, aber für mich war klar, wie viele Emotionen eine Banane so freisetzen kann.“ Ein ernstzunehmender Künstler zu werden, davon war Thomas Baumgärtel damals noch weit entfernt. Aber er hatte die Banane als Kunstobjekt für sich entdeckt. Und dieses Kunstobjekt sollte dorthin, wo Kunst hin gehört: an Museen und öffentliche Gebäude. „In einer Nacht-und-Nebel-Aktionen sprühte ich hier in Köln das Museum Ludwig an“, erzählt er. Doch mit wie viel Aufmerksamkeit das verfolgt wurde, war ihm dann doch etwas zu viel. „Jemand hatte mich wohl verpfiffen und plötzlich wurde ich von Mannschaftswagen der Polizei umzingelt und ich landete mit Handschellen auf der Motorhaube. “Erst als die Spraybanane eindeutig als nicht-terroristischer Akt identifiziert worden war, ließ man ihn wieder los. Thomas Baumgärtel kam trotzdem nicht davon ab, seine Banane weiter an Wände zu sprühen. „Die Strafanzeigen hagelten ordnerweise! “Aber gleichzeitig wurde die Spraybanane immer berühmter. Inzwischen gibt es Baumgärtels Frucht in tausend Variationen: Als Bundesadler, als Herz, als Dollar- und Paragraphenzeichen, als Haifisch, als Karnevalsprinz, als Ernie, als Fallus, als Halbmond, als Notenschlüssel... und es wird sie wohl auch noch so lange geben, wie gelbe Farbe lieferbar ist. „Es kam schon mal vor, dass der Sprühkopf Ladehemmungen hatte, aber dass mir die gelbe Farbe ausgeht: niemals“, so der Kölner Künstler lachend, schwingt sich auf seinen Aluroller und rollt rüber ins Büro. Denn aus dem zwei Meter hohen Gemälde, an das er gerade noch die letzten Pinselstriche gesetzt hat, soll jetzt am Computer das neue SWR3 New Pop Plakat entstehen. „Ich war vor zwei Jahren selbst als Zuschauer beim New Pop Festival und hab’ mich von der Stimmung dort inspirieren lassen. “New Pop und Pop Art passen eben am allerbesten zusammen und deshalb werben 2007 die berühmten knallgelben Spraybananen von Thomas Baumgärtel für das SWR3 New Pop Festival.

text: Andreas Hain
in: SWR3 DAS MAGAZIN 6/2007

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Die Banane als politisches Prinzip und Werkzeug

Ein Künstler kann nicht politisch genug sein. Kunst ohne Wirkung ist für mich keine Kunst. Kunst die Wirkung zeigt mischt sich automatisch ins aktuelle Geschehen und damit in die Politik selbst ein.

Diese Erkenntnis ist nicht über Nacht entstanden, sondern in mir über Jahre herangereift wie die Banane selbst. Vor 20 Jahren waren meine ersten Spraybananen noch Sprüh-Aktionen im illegalen Raum. Damals haftete Graffiti etwas sehr Verbotenes an, über das ich mich hinwegsetzte, obwohl ich dafür viele Strafanzeigen kassiert habe und oft verhaftet wurde.

Inzwischen hat der Kunstmarkt die Banane zu einem Markenzeichen gemacht und gesagt: wo die Banane ist, findet gute Kunst statt. Normalerweise wird ja immer der Künstler bewertet. Mit der Banane als Signet für Kritik am Kunstmarkt aber habe ich damals den Spieß einfach umgedreht und Orte nach eigenen Kriterien bewertet – ob sie interessant sind, sich für Künstler engagieren, gute Vermittlungsarbeit leisten und nicht unbedingt nur materielle Kriterien bzw. das schnelle Geld im Vordergrund sehen. Diese Orte wurden mit einer Banane markiert. Damit wurde die Banane quasi ein Michelin-Stern für Kunst, ohne dass ich diesen Prozess hätte beeinflussen können.

Eine andere politische Arbeit trägt den Namen „Unsere Bananenrepublik“. das sind Arbeiten, in denen ich meine Banane mit Politiker- und Korruptionsskandalen gefüllt habe: Vom nationalen Müllskandal in Köln angefangen, über den Kölner Messeskandal, der bis vor das Europäische Verwaltungsgericht in Brüssel ging, bis zum diesjährigen Bürgermeisterskandal von Delbrück, der erst Neuwahlen anberaumte und dann verkündete, dass er doch lieber weitermacht, weil er eine Wahlniederlage befürchtete.

Solche undemokratischen Prozesse kann ich mit meiner Banane sehr gut aufgreifen und mit Humor und Ironie auf das politische Geschehen Einfluss nehmen. Im Fall des Oberbürgenmeisters zeigte ein Transparent vor dem Rathaus durchaus Wirkung. Ein Bild vom Bürgermeister mit einer Bananennase wie bei Pinocchio ist seitdem auch Teil meines Werkblocks „Metamorphosen der Spraybanane“, den ich bei vielen Ausstellungen in Museen und Galerien präsentiere.

So gesehen verstehe ich es als innere Verpflichtung, meinen Teil dazu beizutragen, damit Politik einen gerechteren Weg geht und für eine Gesellschaft steht, in der man friedlich zusammenleben kann. Denn wenn Politik nur ein Mittel ist, um an Macht zu kommen, ist dies genau die Politik, die ich nicht möchte - und ein direkter Hinweis für mich, einzuschreiten.

Thomas Baumgärtel, November 2006 auf Anfrage von Ulrike Pfaff für Projekt "Politisches Tagebuch / Menschen. das magazin"

 

 

Mit dem Werkzeug alles machen

Der Kölner Thomas Baumgärtel bekannt als der 'Bananen-Sprayer' schaffte durch seine 23-jährige Auseinandersetzung mit einem einzigen Objekt in verschiedenen Variationen, den Sprung von der Straße in den Kunstmarkt. Anfangs als Kritik am Kunstmarkt gedacht, ist seine 35 cm Banane am Eingang eines Kunstortes, ironischerweise zum begehrten Markenzeichen für Kunst selbst geworden. Mit den Jahren hat er sich in seiner Arbeit verschiedene Strategien zu nutze gemacht, die heute längst Standard sind - wobei ihm sein Psychologie-Studium hilfreich zur Seite stand. Wenn man Kunstorte frequentiert und Zeitung liest, trifft man ihn und seine Bananen nach wie vor. Wir begegnen seinem Namen oder Bananen hauptsächlich in Büchern über Stencils, Urban Art oder in HipHop-Lexikas und das ist auch gut so.

Während seinen Zivildienstes Anfang der 80er Jahre, nagelte Baumgärtel in einem katholischen Krankenhaus eine Banane auf ein Holzkreuz. Um so die Ordensschwestern zu testen. Die Reaktionen gingen von Gelächter bis Empörung, weshalb er gefallen daran fand und Kunst sowie Psychologie studierte. Er hat dann erstmal fünf Jahre lang mit Bananenschalen gearbeitet und in einer Disco gejobt, wo er viel HipHop hören musste. Heute hört er lieber Soul oder gar nichts, bei der Arbeit dudelt das Radio. Er mag die Provokation und das Spiel mit den Symbolen. Inspiriert von Harald Naegli oder Blek Le Rat machte er 1986 seine ersten Bananen-Stencils und hat diese Bananen-Schablone seitdem an rund 4000 weltweite Galerien, Museen oder Kunstorte gesprüht. Für seine Bilderserien über Bananenmetamorphosen benutzte er an die 1000 Schablonen und Mitte der neunziger Jahre sprühte er riesige Gemälde aus Mini-Bananen-Schablonen. Oder er werkelte an überdimensionalen Installationen, Bananen als Skulpturen aus Kunststoff, Holz oder Beton. Das alles zeigte ihm, dass mit der Banane einfach alles geht.

Soviel Banane kann zwar erstmal befremdlich wirken, aber Baumgärtel ist abgehärtet: „Wenn man sich so exzessiv mit einem Gegenstand beschäftigt, muss man auch gelassen gegenüber Reaktionen werden. Heute sammle ich gerade die heftigen Reaktionen zu der Banane und je negativer sie sind, umso besser“. Ob am Brandenburger Tor, im Kölner Oberlandesgericht oder bei einer Schweizer Branding-Austellung – der Baumgärtel ist mit seinen Bananen am Start. Auch die Aktenordner voller Strafanzeigen gehören dazu und stehen in Vitrinen. Was also vergleichsweise harmlos mit der Warhol-Banane als Revolution der Platten-Cover-Kultur in den 60er Jahren begann, führt Baumgärtel konsequent weiter und bringt der Welt und seinen vermeintlichen Kunstorten die Banane: „Damals war Köln ja eine Art Kunsthochburg mit so vielen Galerien - der Kunstmarkt war vollkommen überteuert, überdreht und abgehoben. Quasi 'totally bananas', und so fing mein Projekt mit den Kunstorten an. Das war damals schon als Kritik gedacht, aber wie alle Sprayer wollte ich auch auf mich aufmerksam machen“. Baumgärtel freut sich, wenn er zum ersten Mal nach Moskau reist und die Banane schon da ist. Kopien sieht er - solange nicht kommerziell verwertet - als Kompliment. Als er in New York zum ersten mal eine Banane sprühte, sagte jemand im vorbeigehen: 'this is the banana-sprayer from cologne'. Da die Galerien inzwischen zu Ausstellungen einladen und Kunstorte nach der Banane verlangen, kann man sagen, dass ihre subversivsten Zeiten vorbei sind. Die Presse ist vor Ort und am nächsten Tag steht es in der Zeitung. Doch Baumgärtel sieht die Banane als Prinzip und Werkzeug: „Damit kann man jederzeit, wenn es zu etabliert oder elitär wird, auch dagegen rudern. Ich habe die Freiheit jederzeit damit auch anarchistische Aktionen zu machen und die Freiheit nehme ich mir auch. Deshalb bin ich froh, dass ich lange auf der Straße gearbeitet habe“.

Laut Baumgärtel muss Kunst in erster Linie Wirkung erzeugen, weshalb er seinen Straßen-Aktionismus auch durch Protestcampen oder Unterschriftensammlungen austobte. Jetzt ist er nur noch selten auf der Straße unterwegs, trotzdem freut er sich über alle Writer und Kleber die in Bewegung sind und die Stadt schminken. Er würde sich sogar für Sprayer einsetzen: „ Ich finde Graffiti gehört in die Großstadt, ohne Subkultur fühle ich mich unwohl. Die Großstädte sollen doch froh sein, denn die Architektur ist oft die größere Beleidigung für die Augen“. Trotzdem findet er es normal, dass der Kunstbetrieb auf der Straße umtriebige nur ungern akzeptiert, denn der Zusammenhalt einer Kultur funktioniert auch über Norm und Ausgrenzung: „Die illegalen Sprayer, muss der Kulturbetrieb erstmal ablehnen. Denn eine Kultur funktioniert nur, wenn sie Normen hat. Ein gewisses Maß an Aufstand braucht man zwar auch, aber irgendwo ist eben die Grenze.“ Die Basis seines jetzigen Erfolgs bleibt trotz allem, die Freiheit nicht zu fragen, sondern einfach zu machen. Sich Orte symbolisch anzueignen ist für Baumgärtel genauso wichtig, wie den normalen Kunstbetrieb auf die Schippe zu nehmen.

Baumgärtels Unterstützer entdecken in seinem Werk sogar Dadaismus, also die Kunst etwas Verrücktes mit Humor zu machen, mit den Mitteln des Nonsens gegen die Ernsthaftigkeit vorzugehen. Manche Frauen sahen dagegen in der Banane eher die Überbetonung eines Männlichkeitssymbols und crossten die Banane: „Da gebe es einige Geschichten von Frauen zu berichten, die stolz darauf waren meine Banane überzumalen. Und sicher mache ich als Mann eher männliche Kunst, wenn man so will.“ Durch sein Psychologiestudium weiß Baumgärtel aber glücklicherweise, dass die Kunst erst durch den Prozess der Betrachtung zur Kunst wird und auch was die Deutungen von Symbolenüber den Betrachter sagen. Deshalb findet er solche Rezeptionen nicht uninteressant. Aber auch ihm selbst wird die Banane manchmal zu viel. Mittlerweile hat er deshalb zwei getrennte Arbeitsräume, um auch an Projekten ohne Bananen zu arbeiten: „Manchmal muss ich den Bananensprayer auch mal wegdrängen, damit andere Entwicklungen hochkommen können“. Hochgekommen sind bisher - in Acryl und mit Pinsel gemalt – Supermärkte, Großstädte, Menschenmassen und der Holocaust. Themen die ihn auch schon in der Psychologie beschäftigt haben:
„Diese Holocaust Sachen sind wirklich ein schweres Thema. Es berührt einen sehr stark. Das muss man mal gemacht haben, um das zu merken. Der Fotorealist Gerhard Richter, der ja auch zu RAF und Terrorismus gemalt hat, sagte mal in einem Interview, dass man den Holocaust nicht malen könnte. Deswegen wollte ich das mal ausprobieren, ich habe eine Hand voll Bilder gemacht und bin irgendwann nicht mehr weiter gekommen. Man braucht dafür viel Zeit, während es gleichzeitig kaum Interesse an dem Thema gibt.“ Noch hat Baumgärtel zwei schöne große Räume in der Ateliergemeinschaft „CAP Cologne“ in Köln-Nippes zusammen mit 50 anderen Künstlern, wo er zwischen Holocaust, Bananen und Kaffeküche hin und her pendeln kann. Aber damit ist bald Schluss, weil die Stadt nun andere Pläne mit dem Gelände hat. Aber Baumgärtel braucht sich keine Sorgen zu machen, er hat einen Beruf den man sehr lange ausüben kann und das Kunstgeschäft läuft. Sonst hat er ja auch noch die Banane oder die Straße: „Ich hätte nichts dagegen die Banane noch den Rest meines Lebens weiter zu benutzen. Mit banalen Sachen, wie einer Banane kann man trotzdem Wirkung erzeugen und das ist die Kunst.“

Bianca Ludewig, Oktober 2006
backspin hiphop-magazin

 

 

Deutsche Einheit
Betrachtungen aus Berlin

Katalogtext von Galeristin Ingrid Raab zur Ausstellung Baumgärtel/Klemm “Deutsche Einheit” im Museum Schweinfurt

Zu den ergreifensten Werken moderner Malerei, die sich auf das Zeitgeschehen beziehen, gehören die Gemälde „Die Erschießung des Kaiser Maximilian“ des französischen Malers Edouard Manet (Abb. 1). Wie in einem Film läuft das Drama vor den Augen des Betrachters ab. Die Generäle wurden bereits hingerichtet, noch steht dem Betrachter der Vollstrecker Kaiser Maximilians gegenüber, auch er wird sich gleich umdrehen, um befehlsgemäß und unbeteiligt die Exekution auszuführen. Wir kennen den Ausgang und können das Geschehen zu Ende denken. Aber angesichts der uns noch gegenüberstehenden Figur des Vollstreckers schießen andere Gedanken durch den Kopf: Kann man das Unglück abwenden? Muss es so weit kommen? Was geschieht hier eigentlich? Manets monatelanges Ringen um die Wahrheit, die politischen Hintergründe des Dramas, die Ohnmacht, das Unglück nicht abwenden zu können, wird lebendig. Längst liegen die geschichtlichen Fakten zur Erschießung Kaiser Maximilians vor, dennoch steht man vor keinem Historienbild, wenn man sich das Werk ansieht. Vielmehr ist es ein Dokument menschlicher Verstrickungen, die beim Betrachter Mitgefühl, Stellungnahme, Bedauern – Katharsis hervorrufen. Während das Werk ein Geschichte gewordenes Drama abbildet, öffnet sich vor dem inneren Auge des Betrachters ein Abgrund, das Versagen einer Gesellschaft wird sichtbar, die es nicht verstanden hat, das Drama zu verhindern, während es gleichzeitig vorstellbar ist, dass das möglich gewesen wäre. Ohne den Zeigefinger zu erheben, ohne politische Stellungnahme ist der Blick auf die Welt, den das Werk gewährt, eine Anklage an die eigene Zeit, die derartige Monstrositäten zulässt. Dieser Blick rührt den Menschen und befreit ihn von Anteilslosigkeit. Es bleibt ein Grundprinzip menschlicher Haltung, diese Augenblicke zu suchen.

Manet stellt die Herrschaft des Ewiggestrigen in Frage und beschreibt den erschütternden Moment, in dem der Mensch vor dem unglaublichen Geschehen kapituliert. Hamlet nennt diesen Geisteszustand in einer menschlichen Ausnahmesituation im dritten Akt des Dramas „mortal coil“. Wo wir auf lebensbedrohende Herausforderungen treffen, spielt Kunst die Rolle des „sterblichen Wirrwarrs“. Wo Angst und Schrecken regieren, regt Kunst zu Nachdenklichkeit und Betroffenheit an. Anstatt sich auf die Seite der Institutionen zu stellen, stellt die Kunst sich mitten in der Krise in eine Welt voller Unruhe und Unsicherheit. In der Vorwendezeit gibt es viele Beispiele in der DDR, die „mortal coil“ thematisieren, wie die Ausstellung Via Lewandowskis im Sommer 1989. Er stellt vierzig Kuhhufe in einen leeren Raum - mit Richtung auf den Ausgang (jede dumme Kuh würde den Ausgang aus der DDR suchen). Die gruselige Szene erschreckt die Offiziellen, sie wagen es jedoch nicht, die Ausstellung wegen der offensichtlich subversiven Ideen zu schließen, sondern verbieten die Schau aus hygienischen Gründen. Ein Veterinär wird offiziell beauftragt, gesundheitsschädliche Zustände festzustellen. Woraufhin der Künstler die Ausstellung mit starken Desinfektionsmitteln besprüht, um nach getaner Tat seinerseits den Veterinär zu bemühen, der nun hygienisch einwandfreie Zustände feststellen kann. Die Ausstellung darf wieder öffnen. „Mortal coil“ lässt in den darauf folgenden Monaten viele Künstler der DDR auf Demonstrationen zu Wortführern der Wende werden. Ihre unerschrockenen Reden, ihr entschiedenes Handeln ist angesichts der erdrückenden Macht der Ewiggestrigen nur dadurch zu erklären, dass sie begriffen, wie erschüttert auch „das Volk“ von reaktionären Einschüchterungsversuchen war.

Die hohe, hektische Stimme Walter Ulbrichts bleibt im Ohr: „niemand hat vor, eine Mauer zu bauen“, während schon Wochen später die unvergessenen Bilder getrennter und flüchtender Menschen an der Mauer bekannt werden (Abb. 2). Unendlich lange, bittere Jahre vergehen, in denen Honecker verkündet „weder Ochs noch Esel in ihrem Lauf halten den Sozialismus auf“; Michail Gorbatschows Worte „wer zu spät kommt, den bestraft das Leben,“ verhallen scheinbar ungehört, oder doch nicht: denn die Stimmen „wir sind das Volk“ werden immer lauter und die Witze über das Zentralkomitee immer deutlicher.

Am 9.11.1989 um 18:57 Uhr liest Günter Schabowski auf einer Pressekonferenz im Fernsehen eine vom Zentralkomitee beschlossene neue Reiseregelung folgenden Wortlauts ab: „Privatreisen nach dem Ausland können ohne Vorliegen von Voraussetzungen, Reiseanlässen und Verwandtschaftsverhältnissen beantragt werden. Die Genehmigungen werden kurzfristig erteilt. Die zuständigen Abteilungen Pass- und Meldewesen der VP der Volkspolizeikreisämter in der DDR sind angewiesen, Visa zur ständigen Ausreise unverzüglich zu erteilen, ohne dass dafür noch geltende Voraussetzungen für eine ständige Ausreise vorliegen müssen. Ständige Ausreisen können über alle Grenzübergangsstellen der DDR zur BRD erfolgen“. Bestes Amtsdeutsch, das wegen der schwammigen Form viele Bürger der DDR neugierig macht, den Tatbestand noch am selben Abend zu überprüfen (Abb. 3). Spätestens seit der Frage des italienischen Korrespondenten Riccardo Ehrmann der Agentur ANSA, wann die neue Regelung in Kraft trete, womit er dem Amtsdeutsch eine konkrete Aussage abverlangt und Schabowski antwortet: „Das tritt nach meiner Kenntnis - ist das sofort, unverzüglich“ gibt es kein Halten mehr. Stunden später sind Grenzübergänge gestürmt, West-Berlin voller Trabis und bei winterlichen Temperaturen verwandelt sich der nächtliche Ku'damm in ein großes Volksfest. (Abb. 4)
Wie in der westdeutschen Nachkriegszeit scheint sich eine neue deutsche Erfolgsgeschichte anzubahnen. Bundeskanzler Helmut Kohl beschwört „blühende Landschaften“. Im Glückstaumel über die für alle wieder gefundene Freiheit, bei der intensiven Verhandlungspolitik für die Friedensverträge und im nicht unerheblichen Kampf der alten DDR-Bewohner um die Bewältigung des neuen Lebens kommt es noch nicht zur Auseinandersetzung über zeitgemäße Grundlagen der neuen Gesellschaft. Schließlich war das Hauptziel der Freiheitsbewegung durch die Öffnung der Grenzen erreicht. Aus „wir sind das Volk“ wird „wir sind ein Volk“, das ist für die eigene Wahrnehmung bestimmt und noch kein Ausdruck einer auch nach außen bekundeten „Deutschen Einheit“. Von ihr gibt es überschwängliche Vorstellungen und eher nachdenkliche, in eine ungewisse Zukunft gerichtete. In Berlin entsteht im Jahr 1990 das Bild „Selbstportrait und Mauer“ von Markus Lüpertz, eine malerische Auseinandersetzung mit dem, was am 9.11.1989 zu Ende geht und gleichzeitig der Versuch, das Ereignis visionär zu sehen, ein Ansatz, den das Werk Lüpertz' auch sonst kennzeichnet (Abb. 5).

Der Freiheitsbegriff hat sich aus Westberliner Sicht auf einen Schlag gedreht: Westberlin als der Ort, an dem Freiheit sich innerhalb, nicht außerhalb der Grenzen manifestiert, existiert nicht mehr. Er ist aber weiterhin tragfähig als metaphysisch zu deutendes Phänomen, wenn man wie Markus Lüpertz an grenzenlose Freiheit glaubt, der allenfalls künstlerisch Regeln gesetzt sind, worauf die symbolischen Elemente im Bild hinweisen. Das Gemälde appelliert, ganz im Geist der Westberliner Erfahrung, an die Kraft der Freiheit zuallererst als individuelle Möglichkeit. Es beschwört künstlerische Ideen herbei, ist nicht nur in den Farben, sondern auch in der Symbolik nachdenklich und bedenkt so die Chancen für die Zukunft auf der Basis freiheitlicher und humanistischer Ideale. Optimismus oder Sicherheit strahlt das Bild nicht aus, es portraitiert den Don Carlos, den Gustav Gründgens vor versammelten Nazigrößen im Schillertheater in Berlin gab: „Sire, geben Sie Gedanken!“. Diese Richtung verfolgt Lüpertz weiter, als er für das Bundeskanzleramt die „Philosophie“ zum Leitmotiv vorschlägt. Seine Skulptur und die in symbolischen Farben ausgestalteten Räume stehen bewusst für eine Gesellschaft der Ideen und Tugenden - eine Tradition, die seit der deutschen Romantik zwar nicht glücklich verlief, aber für das Land hätte zukunftsweisend werden können.
Deutschland sagt man damals nur zögerlich zu seinem Land. Offiziell gibt es die DDR oder auch „DDR“ oder SBZ, in der Schreibweise all derer, die die DDR als Staat nicht offiziell anerkennen; es gibt die BRD oder Bundesrepublik Deutschland. 1990 malt Rainer Fetting das Bild „Mauer und Buchenwald - Rumpelstilzchen“ (Abb. 6). Hatte Rumpelstilzchen nicht seine Existenz damit verbunden, dass man seinen Namen nicht kannte? „Ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß.“ Wie das „Kind“ denn heißen solle, bleibt zunächst offen, wenn auch kaum einer mehr glaubt, dass die Nennung des Namen dazu führen könne, dass die Nation sich erneut zerrisse. Den Osten, der schon im nächsten Jahr als „neue Bundesländer“ Verträge mit den „alten Bundesländern“ abschließt, unter BRD zu vereinnahmen, hätte den Respekt vor der Freiheitsbewegung vieler Menschen geschmälert. Die Staatsfrage ist allzu fragil, um sie mit Selbstbewusstsein zu stellen, sie ist auch neu und ungewohnt und das soll noch einige Zeit so bleiben.

Blicken wir etwa zehn Jahre später auf das Jahr 2000, als ein Kunstwerk Hans Haackes für den Deutschen Bundestag Aufsehen erregt. Haacke will einen Trog aufstellen, der Erde aus den verschiedenen Bundesländern aufnehmen soll und diesen mit den Lettern „DER BEVÖLKERUNG“ in Frakturschrift versehen. Er reagiert damit auf die Giebelinschrift des Reichstags - dort steht in wilhelminischer Frakturschrift und in Versalien: „DEM DEUTSCHEN VOLKE“. Haackes Kunstwerk führt - ähnlich wie bereits Christos „wrapped Reichstag“ - zu veränderten Gedankenstrukturen. Im Gegensatz zu Christo, dessen ästhetische Verhüllung in Berlin mit fröhlicher Begeisterung gefeiert wird, löst Haacke heftige, von ihm gewollte Reaktionen aus. Mittel dazu ist das Stilelement der Frakturschrift mit ihrer wechselvollen Vergangenheit: in dieser Schrift gestaltete Albrecht Dürer eines der größten Buchkunstwerke der Welt, das Gebetsbuch Kaiser Maximilians; von Adolf Hitler wurde der Gebrauch der Fraktur verboten; nach dem zweiten Weltkrieg fiel sie fast dem Vergessen anheim. Sieht man heute auf die tägliche webcam-Aufnahme, die zum Kunstwerk Haackes gehört und unter www.derbevoelkerung.de für jeden sichtbar ist, entdeckt man, dass der Schriftzug inzwischen teilweise von Pflanzen überwuchert ist. Man mag das als Symbol für die versöhnende Zeit sehen, aber auch als Ergebnis notwendiger, bisher nicht geführter Auseinandersetzungen zum deutschen Thema.

Durch künstlerisch so unterschiedliche Gedankenansätze wird die deutsche Einheit zu einem vielschichtigen Thema und damit zur idealen Ausgangslage für die Zusammenarbeit von Thomas Baumgärtel und Harald Klemm. Beide Künstler arbeiten dabei aus jeweils anderer Sicht. Harald Klemm macht die Familiengeschichte zum Thema: „Genauer gesagt, es ist mein Vater, der in Werneuchen bei Berlin aufwächst und dort seine Kindheit und Jugend, die meiste Zeit auf dem dortigen Militärflughafen, verbringt; bis er im September 1951 an seinem 18. Geburtstag von dort fliehen muss, weil er beim Bierholen für seine Geburtstagsfeier in der Dorfkneipe einen angetrunkenen russischen Soldaten entwaffnet. Schnell wird ihm zugetragen, dass die russische Militärpolizei nach ihm sucht und man legt ihm nahe, erst einmal bei seiner Großmutter in Westberlin unterzukommen. Sein Bruder wird 2 Tage lang verhört, gibt aber den Aufenthaltsort nicht preis. Mein Vater ist danach 17 Jahre nicht nach Hause gekommen und lebte schon lange in Westdeutschland, wo er seine Arbeit und seine Frau fand, bevor er das erste Mal seinen Bruder wieder sah. Er erlebte nicht, dass sein Vater 2 Jahre nach seiner Flucht in derselben Kneipe von einem betrunkenen russischen Soldaten erschossen wurde“. (Harald Klemm, 10.7.2006)
„Mortal coil“ und damit ein Thema für das Malen, aber auch für die Zusammenarbeit mit anderen Künstlern, ob Maler, Komponisten oder Dramaturgen. Für Harald Klemm spielt der New Yorker Maler Theo Lipfert hier in den ersten Jahren eine zentrale Rolle, der ihn vielleicht auch durch sein forschendes Herangehen an Themen fasziniert. Ausgangspunkt der Projekte ist umfangreiches, teils in Archiven gesuchtes, in Videos gefundenes Material, das sich im Gebrauch für beide Künstler oft zu einer überraschenden Form der Übereinstimmung entwickelt. Danach ist die Zusammenarbeit mit Thomas Baumgärtel 1998 ein natürlicher Schritt: das Projekt „Wen.de - Zehn Jahre Deutsche Einheit“ nimmt seinen Anfang.

Wie Harald Klemm ist auch Thomas Baumgärtel in der Nachkriegszeit im Rheinland aufgewachsen, das aus der Aussöhnung mit dem Nachbarland Frankreich eine Erfolgsgeschichte gemacht hat. Die Erfahrung ist hintergründig. Sie beruht auf vielfältigen, oft alltäglichen, häufig denkwürdigen Ereignissen, die nicht isoliert geschahen, heute nicht mehr in jeder einzelnen Phase kritisch oder abwägend nachvollzogen werden müssen, sondern längst ein Lebensgefühl erzeugt haben, das mit dem Ausdruck rheinländischer Frohsinn gar nicht schlecht beschrieben ist. Dahinter verstecken sich schlagfertiger Humor, geistige Unabhängigkeit, kulturelle Neugier, großer Anteilnahme am Schicksal anderer und ein schlagfertiger Umgang mit politischer Macht. Erste Arbeiten Baumgärtels zur Deutschen Einheit entstehen Mitte der 80er Jahre, vorzugsweise Bananen-Bildnisse von Helmut Kohl (Abb. 7) oder die Deutschlandfahne als Symbol unserer „Bananenrepublik“. Die Zusammenarbeit mit anderen Künstlern führt er bis heute in der Gruppe „Könige der Herzen“ mit Thitz und M.S. Bastian fort. Seine Aktionen als Bananensprayer sind Legende. Als er dann 1994/95 den Bananenpointillismus erfindet, wird er zum geeigneten Partner für das Gemeinschaftsprojekt „deutsche Einheit“ und für eine aufregende künstlerische Zusammenarbeit.
Die eigene Vorgeschichte macht den Fall der Mauer in Deutschland für Baumgärtel und Klemm zum künstlerischen Fest. Rosen, Bananen und Pinkfarben für das Brandenburger Tor, (Abb. 8) Freiheit auch für die Volksarmee sind keine vordergründigen Motive. Mit der historischen Last im Rücken - Helme und Kalaschnikows, das Brandenburger Tor bilden das Gerüst der Bilder - sind Rosen keine Selbstverständlichkeit. Es kann streng genommen an dieser Stelle weder Rosen noch Bananen geben, man muss sie erst einmal malen, erschaffen. Sichtbar wird der Vordergrund der Gemälde hintergründig, denn die Künstler fordern, ihre im Rheinland erworbenen Erfahrungen der Nachkriegszeit auf die neue, nun in allen deutschen Regionen Wirklichkeit gewordene Freiheit anzuwenden. Dabei bleibt das Geschichtsbewusstsein immer im Hinterkopf. Die Überwindung martialischer Auseinandersetzungen durch gemeinsame kulturelle Erfahrungen, so wie es bereits Courbet oder Proudon im 19. Jahrhundert beschworen haben, tragen das ihre zum Frohsinn bei, den nun spätere Generationen als Selbstverständlichkeit empfinden können.

Rosen für Deutschland - und warum nicht auch Bananen -, die in der zeitgenössischen Kunst seit Andy Warhol ebenbürtig für das Freiheitssymbol stehen. Selbst die Komposition der Werke ist auf Befreiung abgestellt; von der Volksarmee (Abb. 9), die nicht mehr das eigene Volk einsperrt, für das Brandenburger Tor, durch das man wieder als Fußgänger hindurchgehen kann, für das individuelle Glück, das von der Freiheit abhängt und nun allen widerfährt. Fragt sich nur, wie dieses Glück festzuhalten sei, wenn die Relikte im Hintergrund der Werke historische Fakten bleiben. Es liegt auf der Hand: mit Volksarmisten, Stasi, IM, Seilschaften müssen wir uns weiter beschäftigen. Sie mischen sich der Freude über die Freiheit bei, bleiben ein Teil des deutschen Schicksals und der 17 Millionen Menschen, die 1989 unter Hintanstellen ihrer eigenen Existenz für die Freiheit gestimmt haben, damit für eine freie Zukunft und letztendlich für die deutsche Einheit. Die Bilder in ihrer gemalten Vorder- und Hintergründigkeit lassen unendliche Gedankenräume entstehen, setzen Phantasie frei, sie enthüllen die für die Zukunft besten Ideen ihrer Zeit, wie es sich für gute Kunstwerke gehört.

Fast 15 Jahre nach dem Fall der Mauer treffen Baumgärtel und Klemm durch Vermittlung Julia Raabs auf Peter Oberneier aus Kladow (ehemals West-Berlin). Er ist Eigentümer eines eleganten Trabbi Coupe in hellblau, der ein Desiderat der Künstler darstellt - und nicht nur das Coupe, auch Karosserieteile, die sich dann - auf Hochglanz poliert - zum Zwickauer Altarbild nobilitieren lassen. Inzwischen ist der Trabbi fast aus dem Verkehrsbild verschwunden, aber wie der Käfer aus Wolfsburg hat er große Symbolkraft. Für Peter Oberneier steht fest, dass dieser Trabbi noch längst nicht alles Potential entfaltet hat - er überlässt ihn den beiden Rheinländern für neue Abenteuer, die ihn schon mit der Beschreibung des Vorhabens neugierig gemacht haben. Auf dem Dach Adolf Hitler, an den Türen Anne Frank, Helmut Kohl, Michail Gorbatschow dazu die romantischen Erinnerungen an die Tage nach der Öffnung der Mauer. Alles findet auf dem Prachtexemplar mit Schablonen und Farbe seinen Platz und ehe wir uns versehen, entstehen vor unseren Augen die Bilder, die wir Tage und Wochen nach der Wende gesehen haben.

Die Zeit seit der Wende haben viele genutzt, um wieder eine größere Heimat kennen zu lernen. Harald Klemm lernt die Heimat des Vaters kennen, so wie andere die alte Heimat seit Jahren wieder besuchen, wieder andere sich den Traum von Venedig erfüllen. Hatten wir „Deutschland“ 1989 nur zögerlich gedacht, ist es inzwischen wieder der Begriff für unsere Heimat geworden. Dass wir das dem Freiheitswillen von Deutschen und unseren Nachbarn zu verdanken haben, macht auch die Schattenseiten nicht vergessen, die von vielen noch schmerzhaft empfunden werden.

In vieler Hinsicht erscheinen Thomas Baumgärtels und Harald Klemms Werke zur deutschen Einheit visionär. Schon hier erscheint die Deutschlandfahne, die zur Fußballweltmeisterschaft mit den vielen Nationalfahnen der teilnehmenden Länder ganz Deutschland übersäht und das Ausland findet es selbstverständlich. (Abb. 10) Fügt man diesem selbstbewussten, fröhlichen Bild auch deutsche Namen hinzu, Beethoven, Dürer und Goethe, denkt man an die Tagebücher der Anne Frank, erscheinen vor dem geistigen Auge kulturelle Triumphe und nationale Katastrophen. Zur ungetrübten Freude gesellt sich das Drama, das in Kunstwerke gefasst mit der Grenzenlosigkeit der Einbildungskraft, mit der Moral spielt, wie man mit dem Feuer spielt. Kunst kennt das Böse, erschafft es, verhüllt es, verwischt Spuren, gibt auch nicht alles preis, wahrt das Geheimnis. Über Jahrhunderte hat Kunst den Weg gewählt, den menschlichen Konflikt, die Katastrophe vielschichtig darzustellen.

Bill Viola schreibt zum Gemälde „Verspottung Christi“ (ca. 1490 - 1500) von Hieronymus Bosch: „...man entdeckt, dass der emotionale Ausdruck all dieser Menschen sich bewegt, er hat sich schon bewegt, bevor du in dem Raum warst und wenn du gegangen bist, wird er sich immer noch bewegen. Es gibt keinen Schluss, kein Endresultat. Ein sich fortwährend wandelndes emotionales Schema, das in ausgedehnter Zeit über die Gesichtsfelder flackert, führt dazu, auch das eigene Entschlüsseln, Mutmaßen über Beziehungen der Akteure zueinander ständig zu ändern.“ (aus: encounters, Ausstellungskatalog zur gleichnamigen Ausstellung in der National Gallery in London, 2000). Das im Gemälde von Bosch dargestellte Drama der Verspottung Christi durch seine Henker ist menschlich kaum erträglich, das Nachdenken über die vielschichtigen, bildnerisch dargestellten Emotionen der Akteure ist jedoch nachvollziehbar, erzeugt Empathie, gibt angesichts der Gefahr auch Hoffnung auf Rettung.

Das Rettende in der Gefahr liegt in der von allen Menschen geteilten, gemeinsamen Kultur, die wir in glücklichen Zeiten mit unseren Nachbarn austauschen. Kultur, Kunst definieren und bewahren Erinnerung, dessen was man liebt, aber auch dessen, was fremd ist. Sieht man Klemms Gemälde der alten Grenzposten, schließen sie Tragödien ein, die durch bessere Erfahrungen überlagert sind (Abb. 11) und die unglaubliche Freude aufleben lassen, die das erste unbehinderte Durchfahren nach der Grenzöffnung auslöste.
Inzwischen sind diese Orte Geschichte, ist die deutsche Einheit als Tatsache im Bewusstsein der Menschen angekommen. Der nächste Schritt ist, ihre Werte zu bedenken, aus ihrer neu gewonnenen Existenz die richtigen Entscheidungen zu treffen. Gerade weil die Werke von Baumgärtel und Klemm zur „Deutschen Einheit“ nicht eindeutig, sondern janusköpfig bleiben, halten sie nicht nur die dem Manetwerk entnommene Lebenserfahrung fest, dem fürchterlichen Geschehen erfolgreich Einhalt zu gebieten, sondern geben auch der Möglichkeit Raum, das Geschehen mit den besten modernen Ideen weiterzuführen.

Berlin, im August 2006
Ingrid Raab

Abb. 1) Erschießung Kaiser Maximilians von Mexiko (Edouard Manet)
Abb. 2) Bei Ostwind I (Harald Klemm)
Abb. 3) Trabbi (Baumgärtel/Klemm)
Abb. 4) Verkündigung nach G. Schabowski (Harald Klemm)
Abb. 5) Vision mit Mauer (Markus Lüpertz)
Abb. 6) Mauer und Buchenwald - Rumpelstilzchen (Rainer Fetting)
Abb. 7) Helmut Kohl (Thomas Baumgärtel)
Abb. 8) Blühende Landschaften 2 (Baumgärtel/Klemm)
Abb. 9) Ein Deutsch Deutsches Lied, 2-3-4 (Baumgärtel/Klemm)
Abb. 10) Deutschland (Thomas Baumgärtel)
Abb. 11) Transit (Harald Klemm)

 

 

Deutsches Allerlei

Katalogtext von Andrea Brandl zur Ausstellung Baumgärtel/Klemm “Deutsche Einheit” im Museum Schweinfurt “Galerie Alte Reichsvogtei” vom 13. 10. 2006 – 14. 1. 2007

Man sagt „Kunstwerke sind ein Spiegel ihrer Zeit“, das trifft ganz sicher auf die Ausstellung „Deutsche Einheit“ von Thomas Baumgärtel und Harald Klemm in den Räumen der Galerie Alte Reichsvogtei zu.

Thomas Baumgärtel ist in Schweinfurt bereits ein alter Bekannter, denn er hat im Oktober 2003 besondere Aufmerksamkeit erregt, als er die Außenfassade der Galerie mit seinem Qualitätssiegel, der Spray-Banane, verzierte. Damit kann sich diese Institution für zeitgenössische Kunst jetzt in eine Auswahl von wichtigen Museen zwischen New York, Moskau oder Paris einreihen, auch ziert sie Kunstorte in Regensburg, Koblenz oder Bonn und den Eingang des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg. Einen ersten Kontakt zu ihm vermittelte seinerzeit freundlicherweise der heute in Karlsruhe lebende und wirkende Galerist Michael Oess. Mit der Spraybanane markiert Thomas Baumgärtel seit 1986 weltweit die für ihn interessantesten Orte der Kunst: Als sein persönliches Zeichen will er mit der Banane die allgemeine Vorstellung von dem, was Kunst ist, aber auch in Frage stellen.

Thomas Baumgärtel und Harald Klemm arbeiten seit 1999 gemeinschaftlich an dem Thema „Deutsche Einheit“. Beide Künstler haben eigene und persönliche Beweggründe, sich mit der Wiedervereinigung und der ersten friedlichen Revolution in der deutschen Geschichte auseinander zu setzen. Für sie ist weiterhin eine der Hauptfragen, inwiefern die „Deutsche Einheit“ vollzogen ist - da auch aktuelle Beispiele zeigen, dass Ost und West politisch immer noch unterschiedlich behandelt werden. Für Thomas Baumgärtel ist ein zentrales Medium seiner Arbeit - die Banane - zugleich eines der wichtigsten Symbole der Wiedervereinigung. Er beschäftigte sich bereits im Rahmen seines Psychologiestudiums mit den seelisch-gesellschaftlichen Problemen, die bei einer deutschen Einheitsbildung auftreten. Diese psychologische Sichtweise floss schon immer in seine Arbeiten zu diesem Thema mit ein. Harald Klemm, der Geschichte und Philosophie in Aachen studierte, hat durch seine Familiengeschichte einen sehr persönlichen Zugang zur Wiedervereinigung, da Teile seiner Familie durch die Mauer voneinander getrennt waren. Politische Themen wie Flucht und Vertreibung oder die 1960er Jahre in Westdeutschland sind immer wiederkehrende Motive in seinem Werk.
Das gemeinschaftliche Arbeiten im Bereich der Bildenden Kunst hat in der Kunstgeschichte eine lange Tradition. Denken wir beispielsweise an die gotischen Bildhauer, deren Werke anschließend noch durch die Hand eines sog. Faßmalers gingen, der diese farbig zu „fassen“, d.h. zu bemalen und zu vergolden hatte. Erst dann war das Kunstwerk vollendet. Beispiele hierfür gibt es ebenso in der Malerei des 19. Jahrhunderts etwa bei den Künstlerkollegen Johann Sperl und Wilhelm Leibl, die tatsächlich an Bildern gemeinsam gemalt und sie signiert haben, wie beim „Bauernjäger“ (1894) im Museum Georg Schäfer. Diese Kollaboration war als sichtbares Freundschaftsdokument gedacht, und auch unter diesem Aspekt sind die Kunstwerke von Thomas Baumgärtel und Harald Klemm zu verstehen.

Der Leiter der Städtischen Galerie Sindelfingen Otto Pannewitz sieht diese Gemeinschaftsarbeit in ihren Verzahnungen und Überlagerungen als „Kaleidoskop der deutschen Nachkriegsgeschichte“. Sein treffender Vergleich ist als Metapher im doppelten Sinn zu verstehen. Zum einen die Arbeitsweise der Künstlerkollegen betreffend, indem das Bildmotiv aus einem Stimmungsgeflecht von verfremdender Reduktion des Motivs und rein malerischen Akzenten in wechselndem Rhythmus durchaus über einen längeren Zeitraum heraus entwickelt wird, zum anderen durch die Thematik der Bilder selbst. Ihre gemeinsame Arbeit am Projekt „Deutsche Einheit“ ist wie Salz und Pfeffer in einer Speise, die ohne diese Gewürze nicht schmecken würde.

Die Bilder und Objekte zu diesem Thema sind dabei nicht immer eindeutig, sondern gewinnen ihren unnachahmlichen Scharm auch aus der Zweideutigkeit ihrer Aussage, die mit einer ordentlichen Portion Humor „gewürzt“ ist. So wird das Wahrzeichen Berlins und offizielles Symbol der deutschen Einheit mit der gelben Frucht als – nach Baumgärtels Meinung – dem eigentlichen Symbol der Wiedervereinigung verbunden und persifliert auf diese Weise die sog. „Bananenrepublik“. Durch die historisch-politischen Bezüge der dargestellten und zugleich auch wieder malerisch verunklärten Motive, etwa die Portraits der aktuell amtierenden Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel oder des Altbundeskanzlers Dr. Helmut Kohl, das Brandenburger Tor, der Mauerfall oder ein Trabi, werden in uns Erinnerungsbilder aufgerufen, die uns aus der eigenen Sicht geläufig sind, weil sie auch Teile unserer Geschichte und Erlebniswelt reflektieren.

Auch Schweinfurt ist von dieser besonderen Lage im Nordens Bayerns im sog. Zonenrandgebiet betroffen gewesen. Die Öffnung dieser künstlichen Grenze im November 1989 hat vielschichtigste Auswirkungen gehabt. Es fand umgehend ein kultureller Austausch statt, sei es mit uns und der Kunsthalle Erfurt oder dem Schloss Elisabethenburg in Meiningen, Schweinfurter besuchten wieder das bekannte Meininger Theater, und zahlreiche ortsansässige Firmen gründeten Filialen in den neuen Bundesländern. Für manche hätte diese Entwicklung allerdings auch fast die Existenz gekostet. Heute fährt man mal schnell nach Erfurt oder Weimar, wie früher nach Nürnberg oder Frankfurt. Die „Deutsche Einheit“ ist auch hier längst vollzogen, oder? Das zu hinterfragen, ist das Anliegen der zwei innovativen Künstler.

Die Werkschau in Schweinfurt will gleichzeitig der Vielfalt der künstlerischen Ausdrucksformen von Thomas Baumgärtel und Harald Klemm Rechnung tragen, in dem die in Köln lebenden Künstler die Galerie in verschiedenen Bereichen inszenieren: An der Außenfassade lädt eine breite DDR-Fahne zum Besuch der Ausstellung im Innern ebenso ein, wie ein originaler, türkisleuchtender und von beiden mit einer Vielzahl von Chiffren symbolhaft überarbeiteter Trabi im Foyer. Im ersten Stock sind dann neben Gemälden, an die sie gemeinsam Hand anlegen, auch Einzelwerke der beiden zu sehen, sowie im Wintergarten die Videoinstallation „BRD-DDR“. Eine extra für Schweinfurt gefertigte Sonderedition gibt der Werkschau noch einen lokalen Akzent und unterstreicht ihr Bemühen, allenorts durch kritisches wie humorvolles Hinterfragen dem politischen Geschehen mit ihren Arbeiten einen Spiegel vor Augen zu halten.

Andrea Brandl M.A., Museen und Galerien der Stadt Schweinfurt, September 2006

 

 

Ansprache von Konrad Adenauer zur Eröffnung der Ausstellung im Oberlandesgericht Köln am 11. Mai 2006

Mit „Warum, warum ist die Banane krumm?“ antworten entnervte Eltern ihren Kleinen, wenn sie mit deren unmöglichen Fragen bedrängt werden. Und jetzt noch der Bananensprayer! Warum? „An Thomas Baumgärtel scheiden sich die Geister !“ hätte man sicherlich vor einigen Jahren noch die Kunstbetrachter sich äußern hören können. Er wurde sowohl beneidet als auch verächtlich gemacht. Inzwischen ist Thomas Baumgärtel über diesen Punkt weit hinaus. Er ist ein arrivierter Künstler, wenn man das so sagen soll und darf. Zunächst einige äußere Daten: Er ist geboren 1960 in Rheinberg am Niederrhein und dort aufgewachsen. Diese Stadt ist ansonsten bekannt durch Produkte, die üblicherweise grün verpackt werden. Er hat seine früheste Künstlerausbildung erfahren an der Kölner Schule für Kunsttherapie im Jahr 1984 und anschließend an der Universität Köln Psychologie studiert bei den Professoren Salber und Heubach und dort sein Diplom erworben. Später hat er als Encounter-Therapeut an der Human University Egmond aan Zee in Holland gearbeitet, und schließlich an der Fachhochschule Köln als Meisterschüler von Professor Franz Dank bis 1990 freie Kunst studiert. Ich habe Thomas Baumgärtel vor vielen Jahren bei einer privaten Kunstausstellung kennengelernt und als damaliges Vorstandsmitglied der Stiftung Kaufmannshof Hanse bei seiner Sprayaktion an einer Wand des Stiftungsgebäudes in der Nähe des Wasserturms unterstützt. Das Bild ist heute noch zu sehen. Ich sehe vor mir gerade den Stiftungsvorsitzenden Axel Goergen.

1986, also vor 20 Jahren, gab es die erste Spray-Banane. Diese berühmte Banane ziert tausende Kunstorte nicht nur in Köln, sondern auch in vielen anderen deutschen Orten, aber auch in Basel und Zürich, Wien, Paris, London, New York und Moskau. Wer die Bananen neben einem Hauseingang sieht, weiß gleich: hier geht es um Kunst, entweder museal oder auch im Handel.

Auf diesem Wege wurde auch ich vor einer Reihe von Jahren auf Thomas Baumgärtel aufmerksam und stellte mir die auch von vielen anderen gestellte Frage, ob die Eigentümer oder Betreiber solcher Kunstorte die Banane sich gewünscht haben, wie nach zweijähriger heftiger Gegenwehr Herr Gohr für das Museum Ludwig, ob sie sie einfach schicksalsergeben in Kauf genommen haben oder ob sie sie etwa bekämpft haben und dagegen vorgegangen sind wie z.B. die Galerie Werner.

Die Banane wird biologisch auch „Musa“ genannt, nach dem Arzt A. Musa, oder in Südafrika „Piesang“. Zu den Bananengewächsen gehört auch die Strelitzie, die in Südafrika heimisch und weit verbreitet ist. Die Vogelfamilie der Turakos nennt man „Bananenfresser“, und „Bananenstecker“ sind einpolige Steckvorrichtungen mit federnden Kontaktflächen. Die Obstbanane (musa paradisiaca sapientium) heißt so, weil sie angeblich die Speise der Weisen ist, die Mehlbanane (musa paradisiaca normalis) ist roh ungenießbar und dient in zahlreichen tropischen Ländern als Grundnahrungsmittel. Die Zwergbanane (musa nana) wird auf den Kanarischen Inseln für den Export angebaut, die Faserbanane (musa textilis) liefert aus den Fasersträngen der Blattscheiden eine ausgezeichnete, sehr feste Spinnfaser (Manila-Faser). Als Schädling ist bekannt der Bananenrüßler (cosmopolites sordidus), der mit seiner Larve die Rhizome und Wurzelschößlinge der Bananenpflanze angreift.

Die Banane spielt in der Literatur keine große Rolle. Kindlers Neues Literaturlexikon weist nur einen einzigen Bananentitel aus, nämlich „Banana bottom“ von Claude McKay, erschienen 1933, wobei, um Fehldeutungen vorzubeugen, ich darauf hinweise, daß es sich bei „Banana bottom“ um einen Ortsnamen in der Karibik handelt, also um Bananengrund. Die zahlreichen deutschen Gedichtsammlungen, die mir zur Verfügung stehen, weisen kein einziges Bananengedicht aus. Während unsere Jugendgruppen singen: „Wer hat die Kokosnuß geklaut?“ singt Harry Belafonte: „Hey, Mr. Telliman, telli my banana!“ Unsere Kinder reiten auf einer Riesenbanane auf der See, und der Menschenaffe kurvt in seinem Bananamobil durch unsere Kinderbücher. Warum hat nur die Wurst zwei Enden? Der WDR-Journalist Klaus-Jürgen Haller hat sich in seinem Buch „Wörter wachsen nicht auf Bäumen“ mit der Banane befasst. In seinem Artikel fand ich allerdings fast nur die Wiedergabe entsprechender Lexikonartikel, bis auf folgende neue Erkenntnis, daß es im amerikanischen Slang einen „Banana head“ gibt, dessen Eigentümer als Dummkopf gilt, und daß der Satz „He went bananas“ mit „Jetzt dreht er endgültig durch“ zu übersetzen ist.

Hier kommen wir auch schon zum Thema des heutigen Abends: Krumme Dinger, eine höchst doppeldeutige Angelegenheit. Es ist nicht zum ersten Mal, daß Thomas Baumgärtel mit der Justiz in Berührung kommt. Ist es heute abend für ihn ein angenehmer Umgang, war es früher für ihn doch oft eine eher herbe Begegnung, ja es ging um Konflikte mit der Justiz. Heute hat er sie künstlerisch verarbeitet, wie unter anderem ein ganzer Dokumentationsgang hier oben zeigt. Da ging es um eine Sprayaktion auf dem Zeppelinfeld in Nürnberg, ebenso wie um seine Verteidigung durch den in Kunstdingen sehr engagierten Rechtsanwalt Louis Ferdinand Peters, der ihn ebenso wie vor Zeiten den Schweizer Sprayer Harald Naegeli verteidigt hat. Peters ist geradezu ein Sprayanstifter; übrigens sind Baumgärtel und Naegeli laut einem hier wiedergegebenen Bericht der Neuen Zürcher Zeitung vor einigen Jahren zusammengetroffen. Herrlich auch der Artikel vom Schäng im Kölner Stadt-Anzeiger aus Baumgärtels früher Zeit, hier vergrößert nachzulesen. Spektakulär war Baumgärtels Aktion mit der Riesenbanane, die aus dem Kölner Dom herausschaut, oder auch seine Bemalung des beton-ummantelten Autos von Wolf Vostell „Ruhender Verkehr“ auf dem Hohenzollernring. Beide Aktionen sind hier ausreichend dokumentiert. Ich fand Wolf Vostell nicht schlecht, aber Thomas Baumgärtels Idee, diese etwas fade, eintönige und eigentlich zum Vergessen einladende Betonplastik mit einem Bananenkleid zu versehen, fand ich wunderbar kreativ. Wir wissen, daß er damit juristisch nicht durchkam und die Bananen wieder entfernen musste. Schade! Vostell ist tot, Baumgärtel lebt. Vita brevis, ars longa. Am Ende der Aktion bestieg Baumgärtel per Leiter im meterlangen Bananenkleid das gereinigte Betonauto, um als Freiheitsstatue dem freien Autoverkehr auf dem Ring den Weg zu weisen. Heute abend tut er dies zu meiner Linken auf einem Gemälde ebenso, in Kontrast zu seinem gegenüber hängenden Bild als „Knacki“. Mir gegenüber hoch oben hat er ein Selbstportrait von sich gehängt, das ihn in voller Sprayaktion zeigt, darunter, gemütlich schmunzelnd, seinen „Richter“.

Zukunftsvision ist noch die große Banane im Brandenburger Tor in Berlin. Aber auch Christo mußte bei der Reichstagsverhüllung einige Jahre auf die Realisierung warten. Immerhin setzt sich der frühere Berliner Kultursenator Christoph Stölzl für ihn ein. Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: ich bin gegen jedes wilde Sprayen, und zwar sehr heftig. Bei Thomas Baumgärtel geht es immer nur um ein kleines einfaches Zeichen, die Banane, die auf Wunsch auch wieder entfernt wird.

Aber so ein kecker, ab und zu wider den Stachel der Obrigkeit Löckender war Thomas Baumgärtel schon immer. Er war halt ein wenig aufsässig, aber nicht auf die unmittelbare, direkte oder gewaltsame Methode, sondern einfach mutig mit viel Zivilcourage. So war es auch, als er die Banane an sich als Kunstwerk erfand. Seinerzeit ging es um eine vertrocknete gealterte Banane, die er als Ersatz für einen heruntergefallenen zerstörten Corpus an ein Kruzifix in einem Altenheim hängte, in dem er seinen Zivildienst versah. Hier ist auch der einzige Punkt, bei dem ich mit ihm nicht übereinstimme. Hier ging er nach meinem Dafürhalten schon gleich am Anfang zu weit. Der Gekreuzigte und das Kreuz eignen sich nicht als Satireobjekte.

Nun mögen kluge Beobachter einwenden, daß Thomas Baumgärtel all die Aktionen in der Öffentlichkeit eigens ausgeheckt hat, um sich gewissermaßen am Rande der Legalität bekannt zu machen. Sicherlich spielt so etwas immer mit und sind auch schon viele Künstler in den vergangenen Jahrhunderten so verfahren. Gerade in der heutigen Zeit muß man mit dem Handwerkszeug klappern, wenn das auch mit Bananen schwerfällt. Aber die Banane war ja für uns Deutsche in der Vergangenheit immer ein Zeichen des Wohlstands, der guten Ernährung, erst Recht für die DDR, als sie zu uns kam. Sie ist gewissermaßen ein Grundnahrungsmittel. Manche behaupten, sie besitze ein Glücksenzym. Andererseits sprechen wir von Bananenrepubliken und kennen auch den Ausdruck „Alles ist mir Banane“, d.h. egal, s.a. auch die Inschriften in dieser Ausstellung. So hat die Banane durchaus einen ambivalenten Charakter bei uns. Schließlich ist sie die Hauptzielscheibe der Linken gewesen, wenn sie gegen die internationalen Fruchthandelsgesellschaften vorgingen. Es gab Kriege um Bananen, es gab den Kampf der Bananen auf den Kanarischen Inseln gegen die Bananen aus Amerika und wiederum führten diese Krieg gegen die Bananen aus Afrika. Die EU war gespalten, da die Deutschen lieber die Bananen aus Amerika aßen als die kleinen aus Afrika, die sie aus Liebe zum Nachbarn Frankreich essen sollten, und so weiter. Die Bananenrepublik meint ja eine Republik, die eigentlich so schwach ist, daß die ganze Staatsmacht auf Bananenfüßen steht („Chiquita“). All dieses schwingt mit bei Thomas Baumgärtels Bananenarbeiten, die inzwischen so vielfältig geworden sind, daß man manchmal den Ursprung gar nicht mehr erkennt, z.B. bei den Politikerportraits, die auf der Grundlage von Bananenschablonen entstanden sind und die natürlich alle in schwarz-gelb gehalten sind, mein Großvater ist auch darunter. Schade ist, daß mir dieses Bild nie zum Erwerb angeboten worden ist. Nicht ohne Schärfe sind diejenigen einzelnen Bananen, die in sich Politikerportraits tragen, die es also in sich haben, und die größeren Portraits von Kölner Lokalpolitikern, mit Texten aus Kölner Zeitungen garniert. Sie würde ich zum Teil gerne kaufen, um sie den Dargestellten zu schenken und damit ein wenig hochzunehmen. Es geht Baumgärtel aber auch um allgemeine Themen in der Politik wie z.B. Korruption, die Todesstrafe oder den Frieden.

Es ist aber geradezu frappierend, was man nicht nur mit Bananen als Großgemälde gestalten kann, sondern auch wie die Banane selbst als Symbol variiert werden kann. In seinem Atelier hat Thomas Baumgärtel eine ganze Wand mit Bananensymbolen vollgehängt. Hochinteressant sind die Umformungen von Markenzeichen zu Bananen, z.B. wenn ich an das Symbol der Kölner Haie denke, an die Deutsche Mark, Mickey Mouse, Paragraphen - heute hier sehr anzüglich – Bananen als Handy, als Zeichen von Mc Donald’s oder der NATO bis zum Fußball oder zur Friedenstaube: Thomas Baumgärtels Phantasie ist schier unendlich. Überraschend ist aber auch der Einsatz der Banane auf älteren Ölbildern bzw. auf Drucken alter Bilder, wie man sie im Plenarsaal sehen kann. So kommt sie immer wieder auf überraschende Weise zum Einsatz, und sei es nur auf dem Bilderrahmen.

Doch nun weg von der Banane und hin zu anderen Kunstrichtungen, denen der Bananensprayer heute huldigt. Er hat eine ganz andere Handschrift entwickelt. Er malt Farbe in Farbe, wie z.B. Grau in Grau mit Weiß, häufig auf der Grundlage von Fotografien, es sind aber wie bei Gerhard Richter keine Fotografien. Es handelt sich um Portraits, Bauwerke oder Stadtansichten, häufig von Köln, oder Menschenmassen. So zeigt die Galerie Pudelko in Bonn, Baumgärtels „Massen“ in Kürze. Es kann ein zerstörtes Auto sein, eine Totalansicht oder auch ein Detail. Dabei herrscht immer eine gewisse Unschärfe vor. Man könnte auf den ersten Blick meinen, es handele sich um den Beginn eines Gemäldes, das noch schärferer Konturen und einiger Farbtöne bedarf. Dies ist aber nicht der Fall. Die Bilder, die schemenhaft aufscheinen, sind fertig. Man muß sie nur aus größerer Entfernung betrachten. Thomas Baumgärtel stellt sie auch als Pendant aus zu den sehr viel realistischer erscheinenden Bildern seines Zeitgenossen Oliver Jordan, der in den letzten Jahren mit seinen Portraits und seinen Kölner Ansichten sehr bekannt geworden ist. So hat die Galerie der Moderne Peter Klemm auf der letzten Cologne Fine Art im Februar dieses Jahres beide gemeinsam ausgestellt, quasi als Gegensatzpaar.

Thomas Baumgärtel tritt nach außen hin stets liebenswürdig und zurückhaltend auf, nach dem Motto: ich kann kein Wässerchen trüben. Andererseits ist er aber auch – ich will nicht sagen: durchtrieben – aber doch jemand, der durchaus weiß, was und wen er will, und der mit sehr viel Überlegung und Nachdenken seine Kunst betreibt und den Betrachter an- und verführt. Nicht umsonst ist er Psychologe. Er lebt und arbeitet in Köln, und man darf ihn als einen ganz fest in Köln und der Kölner Kunstszene verankerten Künstler bezeichnen. Er arbeitet in den Clouth-Werken, jedenfalls noch. Ihm und vielen anderen Künstlern, die auf dem Clouth-Gelände arbeiten, ist es zu wünschen, daß die Stadt Köln und ihre Partner einen Weg finden, zumindest ein größeres Kunsthaus auf dem Gelände zu erhalten oder für weiterhin günstigen Ersatzraum zu sorgen. Wie wir alle wissen, lässt sich Kunst nicht erzwingen und nicht befehlen, sie ist wie ein Schmetterling, der mal hierhin, mal dorthin fliegt, hier Platz nimmt und dort wieder wegfliegt. Man muß die Schmetterlinge versuchen in der Stadt zu halten, um sich an ihnen zu erfreuen, und ihnen auch ein wenig Nektar und Pollen zur Nahrung anbieten. Darum ist dem OLG Köln, seinem Präsidenten Riedel, seinem Präsidium und seinem Pressesprecher Pamp sehr zu danken, daß sie alle nicht nur zum wiederholten Male dieses schlossartige Treppenhaus für eine Kunstausstellung zur Verfügung gestellt haben, sondern auch so liberal, tolerant und großzügig waren, gerade den Bananensprayer hereinzulassen.

Davon hat sich der einstige Delinquent nicht träumen lassen: Krumme Dinger im Innersten der Justiz, quasi im Allerheiligsten. Thomas Baumgärtel selbst und nicht nur seine Bananen, die immer fortleben werden, ist inzwischen ein Markenzeichen für Köln geworden und sollte von den Kölnern auch so wahrgenommen werden. Es freut mich sehr, daß der Verein KKJ unter seinem Vorsitzenden, meinem Kollegen Custodis, sich mit Hilfe von Frau Hannelore Jordan dieses speziellen Kölnischen Brauchtums angenommen hat und ihn in diesem opulenten Rahmen hier im Oberlandesgericht Köln zeigt, einem Spitzenort der Rheinischen Justiz.

Wie gerufen zeigt die SK Stiftung Kultur am 27. Mai dieses Jahres um 19.00 Uhr bei freiem Eintritt, Filmschätze schwarzer Tanzgeschichte aus Anlaß des 100. Geburtstages von Joséphine Baker im Mediapark, hoffentlich auch den Film mit dem berühmten Bananentanz von Joséphine, bei der diese gelben Früchte ihre einzige Bekleidung darstellten.

Wir alle wünschen Thomas Baumgärtel auch zu dieser Ausstellung im OLG Köln weiter anhaltenden Erfolg und weiterhin gute Jahre in Köln. Mögen ihm seine Phantasie und seine klugen Gedanken nicht ausgehen. Vor Überraschungen seinerseits sind wir allerdings nie sicher.

 

 

BRANDING

Die Möglichkeit der Kunst, das Leben aus einem unkonventionellen Blickpunkt zu betrachten sowie alternative Denkanstösse und weiter führende Inhalte via ansprechender Verpackung zu vermitteln, verdichtet der Kölner Thomas Baumgärtel zu einem einprägsamen, visuellen Signet: einer leuchtend gelben, mittels Schablone gesprayten Banane, die inzwischen weltweit im öffentlichen Raum an Wänden und Eingangstüren zahlreicher Kunstinstitutionen zu entdecken ist.

Sie wird als Auszeichnung und Echtheitszertifikat für Orte verstanden, die der Kunst einen innovativen und engagierten Rahmen bieten. So bürgt das gesprayte Kürzel, das sogenannte „Tag“ als künstlerisches Gütesiegel für Qualität, weshalb die Banane als Symbol begehrt ist, aber nichtsdestotrotz unkäuflich bleibt und eine rein subjektive Bewertung des Künstlers darstellt. Vor allen Dingen funktioniert das einprägsame Symbol als Werbestrategie sowie Signatur für den Markennamen Bananensprayer alias Thomas Baumgärtel.(1) Doch nicht immer erweckte die Sprayerei Begeisterung: In einer umfangreichen Dokumentation des Künstlers sind erstmals auch alle Beschwerden und gar den Befehl zur Untersuchungshaft in der Ausstellung einsehbar.

Über hundertfünfzig Variationen seiner Bananenschablone hat Baumgärtel seit 1986 entworfen. In der Metamorphose der Spraybanane, einer ständig wachsenden und sich verändernden Installation, werden bekannte und international verbreitete Markenlogos und Symbole in einem künstlerischen Aneignungsprozess mit der Spraybanane verschmolzen, ohne dass die ursprüngliche Bedeutung des Originals unkenntlich gemacht, sondern humorvoll umgestaltet, comicartig aufgepeppt, quasi aus dem kollektiven Gedächtnis der kommerziellen Welt heraus in die Kunstwelt hineingesprüht wird.(2) So erinnert die Frucht mit ein paar Strichen ergänzt an ein Posthorn, die mit Leoparden-Punkten befleckte Banane an die Filmfestspiele von Locarno oder die Äskulap-Banane an das Apothekerzeichen. Das veränderbare Potenzial der Frucht äussert sich auch in den Zeichen des Konsums als gelbes M, hier als Dollar-, dort als Euro-Zeichen, und sogar als Staatssymbol mal als Reichsadler, mal umschlungen von Hammer und Sichel. Eine simple Drehung der Banane bringt die Perspektive zum kippen, vermag sogar eine Weltanschauung in ihr ideologisches Gegenkonzept zu verdrehen: Krümmung und Bruch als Potenziale der Kunst.

(1) Baumgärtel 1988; Unter www.bananensprayer.de sind Texte, Bilder und Projekte zur Spraybanane einsehbar.
(2) Zum Projekt der Übersprühungen alter Meister vgl. Bananensprayer 2004 mit einem Text von Dorothee Baer-Bogenschütz.

Text: Silvia Mutti
Quelle: Ausstellungskatalog "BRANDING" 2006, Kunsthaus Centre PasquArt Schweiz

 

 

Goldstücke.
Thomas Baumgärtel im Industriemuseum Freudentaler Sensenhammer, Leverkusen.

Ausgerechnet Bananen –
Sie wissen schon, jene tropischen Staudenfrüchte von der Gattung Musa aus der Familie der Musaceae, länglich, leicht gekrümmt, stets gut verpackt in gelber Schale, die nach und nach schwarz wird, wenn man versäumt sie zu essen –
ausgerechnet Bananen also wurden Mitte der achtziger Jahre in Köln zur geheimen Chiffre der Kunstszene. Überall an den Kunstorten der Stadt tauchten die reifen Früchte auf, als Sprühbilder an Wänden und Fassaden; nicht lange, und der mysteriöse Bananensprayer dehnte seine Befruchtungsaktion auch auf auswärtige Kunstorte aus. Wie es dazu kam und was es damit auf sich hat, diese Geschichte deckt sich weitgehend mit der künstlerischen Biographie von Thomas Baumgärtel, der ja, wie wir natürlich inzwischen alle wissen, identisch ist mit eben jenem subversiven Bananensprayer.
Von heute an präsentiert er hier im Kunstraum des Industriemuseums Sensenhammer seine „Goldstücke“, so der Titel der Ausstellung, die einen überschaubaren, aber vielseitigen Überblick über seine jüngeren Werke gibt. Eine Reihe davon besteht in der Tat aus vergoldeten Bildern und Objekten, über und über mit kleinen Goldblättchen bedeckt wie ein mittelalterlicher Madonnenhintergrund oder ein Werk von Yves Klein. Denn auch Baumgärtel hat sich mit dieser jüngsten Werkgruppe der Goldstücke auf ganz neues Terrain begeben, vom Gelb zum Gold und von der Reife der Banane zur Reinheit des monochromen Bild-Raumes. Ein weiter Sprung, der nachvollziehbar wird, wenn man das bisherige Werk des Thomas Baumgärtel näher beleuchtet.
Alles begann in einem katholischen Krankenhaus in seinem niederrheinischen Heimatort Rheinberg, wo Baumgärtel im Alter von 23 seinen Zivildienst ableistete. Eines Tages fiel hier ein Porzellanjesus vom Kreuz, und der Zivi mußte die Scherben aufkehren. Da dauerte diesen das leere Kreuz, und weil ihm damals wie heute jede kleine Polemik gegen die katholische Kirche gerade recht ist, und da sich ferner in seiner Pausenbrotbox (ob vom Zufall oder von der Vorsehung hineingetan) auch eine Banane befand, nagelte er diese kurzerhand ans Kreuz - an des Heilands statt. Was den Ordensschwestern seinerzeit als unerhörte Blasphemie erschienen sein muß, das wurde für ihn zum Schlüsselerlebnis, sich näher mit der unerhörten Wirkung zu befassen, die das Aufeinandertreffen zweier simpler Gegenstände haben kann. Und wo schon kann man solche Fusionen besser beobachten oder auch selbst herstellen, als in und mit der Kunst? So wurde die Kunst für Baumgärtel, dessen ältere Schwester übrigens Kunsthistorikerin ist, gewissermaßen zum Religionsersatz. Wegen der hohen künstlerischen Attraktivität der Domstadt zog er 1985 nach Köln und nahm sein Kunststudium an der dortigen Fachhochschule auf; später wechselte er zur Pädagogischen Hochschule. Die Banane, als Auslöser dieser beruflichen Entwicklung, ließ ihn derweil nicht los, besonders die Vergänglichkeit der Pflanzenreste sprach ihn an. Anfangs experimentierte er vor allem mit den holzig getrockneten Schalen und schuf daraus skurrile Objekte wie die Kultivierte Kleinplastik „Das Wesen der Kultur“, schlaffe, faulig verdörrte Bananenschalen in verglasten Holzkästen. Dieses Werk entstand 1988 als Auflagenobjekt anläßlich des Erscheinens seines Buches „Kunst Orte Köln“, das er zusammen mit dem leider schon lange verstorbenen Kunstvermittler Wolfgang Wangler realisierte. Baumgärtel dokumentierte darin sein bisheriges Bananenprojekt. Das Ursprungswerk, das Bananenkruzifix, hat er übrigens bis heute aufgehoben.
Die Banane wurde im Laufe der Zeit zu seinem persönlichen Symbol für die Freiheit der Kunst, die bis heute im Zentrum seiner künstlerischen Arbeit steht. Sie ist und bleibt ihr Grundantrieb. Zwar scheint die Kunst heute frei zu sein hier hierzulande, doch immer wieder muß sich der Künstler aufs Neue dafür einsetzen, ob in den Galerien und Museen oder am Markt, der Baumgärtels eigentliches Thema ist.
Aber natürlich spielte er auch mit dem schillernden Symbolkontext, in dem die Frucht steht, die ja selbst eigentlich nichts dafür kann, daß sie noch den prüdesten Spielverderber irgendwie an Sex erinnert, vor allem, wenn man ihr im ungeernteten Zustand in voller Blütenpracht auf der Plantage begegnet. Die Amerikaner kennen da so ihre einschlägigen Slangvokabeln … Josephine Baker benutzte die exotische Erotik des phallischen Obstes für ihre Bananenröckchenrevue, und die roaring twenties tanzten ausgelassen zum eingangs erwähnten Schlager. Andy Warhol adelte die Banane 1966 als Kunstmotiv, indem er sie zum Underground-Symbol machte für das Plattencoverdesign der Rock-Band Velvet Underground. In den Bananerepubliken Mittelamerikas tobten derweil die Befreiungskämpfe gegen die wirtschaftliche Abhängigkeit vom fremden Kapital. - Unter Ulbricht und Honnecker wurde die Banane zur heißbegehrten Mangelware. Als dann 1989 über Deutschland die Wende hereinbrach, wurde die Frucht zum symbolischen Zankapfel zwischen Ost und West; der Gipfel der Geschmacklosigkeit war erreicht, als saturierte Westler konsumgierige Ostler zur Begrüßung mit Bananen bombardierten.
In Köln hingegen stand die Banane seit 1986 für die Kunst, und wenn man sich durch die seinerzeit bunt florierende Galerienszene bewegte, stieß - und stößt - man auf sie, wo immer es Kunst zu sehen gibt. Die Idee der gesprühten Banane entstand übrigens während einer feuchtfröhlichen Geburtstagsfeier im Gespräch mit dem unvergessenen Ingo Kümmel.
Jede neue Kunstinstitution bekam nun ihren Bananenstempel, den Thomas Baumgärtel eigentlich als Auszeichnung verstand, ja, er hatte sogar darüber nachgedacht, ein Bananenbewertungssystem zu schaffen vergleichbar den Hotelsternen. Doch manche Galeristen und Museumsleute sahen das anders, denn rein juristisch wird das Besprühen von Häuserwänden als Sachbeschädigung gewertet. Deshalb vollbrachte Baumgärtel sein Werk meistens des Nachts, zwei Schablonen und gelbe und schwarze Sprayfarbe im Auto, angetrieben von seinem Drang nach Vollständigkeit, dabei immer auf der Hut wie ein Dieb. 1987 wurde er verhaftet, weil er eine Doppelbanane ans Museum Ludwig gesprayt hatte; heute füllen die Ordner mit den Sachbeschädigungsverfahren gegen ihn ein ganzes Regal in seinem Kölner Atelier. Einfach aber wirksam ist sie - das muß man dieser fruchtigen Provokation schon lassen. Dabei war es von Anfang an vor allem darum gegangen, sich auf eigenwilligem, den gewohnten Mechanismen widersprechendem Nebenweg in den Kunstmarkt einzumischen, der in den späten 80ern einen rasanten Aufstieg erlebte, bevor er kurze Zeit später zusammenbrach. Er ging gewissermaßen „totally bananas“.
Eine Wand im Atelier des Künstlers ist über und über mit quadratischen Bildtafeln bedeckt, die Bananen in allen Erscheinungsformen zeigen, sozusagen sein persönliches Bananenarchiv aus den Jahren seit 1986. Der Titel „Metamorphose“ deutet an, daß eine Banane sich, wenn der Künstler es so will, in alles verwandeln kann – „alles Banane“? könnte man denken angesichts dieser Birnen-, Apfel-, Mickey-, Mcdonalds-, Mercedes- und Paragraphen-Banenenversammlung. Sogar Kölns Bürgermeister Schramma oder das Hai-Maskottchen des lokalen Eishockeyvereins werden hier zu Opfern der Baumgärtelschen Bananenmutation. Eines der Bilder erinnert an eine aufsehenderregende Aktion, die Baumgärtel 1998, zum 750jährigen Domjubiläum, durchführte – wohlweislich spontan, ohne kirchliche Genehmigung, die er wahrscheinlich kaum bekommen hätte für seine 14 Meter lange Riesenbanane. Wie die Pistole eines Bankräubers schob er das monströse Objekt in das Hauptportal der Kathedrale hinein, um – wie er sagt - die Kirche in ihrer verknöcherten Sexualfeindlichkeit symbolisch mit neuem Leben zu befruchten. Und mit einer gehörigen Portion Humor, ohne die Baumgärtels Werk kaum denkbar wäre, ebenso wenig wie die Beschäftigung damit. „Wir leiben die Hohe Kirche“, nannte er seine Aktion.
Voller Ironie in Richtung Kunst und Kunstmarkt war auch sein Projekt „Leben ist echt Banane “. Hierfür übersprühte er seit 1994 bekannte und anonyme Werke der Kunstgeschichte mit seinen Bananensymbolen und vereinnahmte sie auf diesem Wege – wohl auch mit einem Augenzwinkern in Richtung Appropriation-Art, wie sie nun seit einigen Jahren zu den „hippsten“ Richtungen der aktuellen Kunst gehört.
Dennoch kann das Motto nicht lauten „bananas forever“, denn irgendwann hat jedes Motiv seinen Dienst getan. Die Abbildung auf der Einladungskarte zur heutigen Ausstellung zeigt, wie Sie gesehen haben, einen vergoldeten Computer – übrigens einen apple. Es handelt sich um den ausrangierten PC des Künstlers, in dem sich nach wie vor das digitale Ebenbild seines gesamten Bildarchivs befindet, also fast sein komplettes künstlerisches Oeuvre. Dies muß man wissen, wenn man die nur scheinbar so völlig neuartigen Arbeiten der jüngsten Phase betrachtet. Und nicht nur als Schatzkiste der eigenen Kunstentwicklung und -entfaltung, sondern mehr und mehr auch als nützliches Arbeitsinstrument dient der Computer dem Künstler; z.B. auf der Suche nach Bildvorlagen zu bestimmten, ausgefallenen Themen. So suchte er speziell für die hiesige Ausstellung nach Bildern zum ureigenen Motiv des Museums, der Sense, und stieß dabei u.a. auf das Foto zweier Sensenfrauen, die er in ein Stück weicher, farblich zurückhaltender, postimpressionistischer Malerei übertrug.
Der ursprüngliche Kontext dieser Bildvorlagen spielt dabei eine eher untergeordnete Rolle; selbst im Internet wimmelt es ja neuerdings immer mehr von Bildern ohne Zusammenhang oder nachweisbare Herkunft. Diese virtuelle Realität parallel zum Chaos der „echten“ Wirklichkeit, dieses regelrechte digitale Weltall, fasziniert Baumgärtel seit neuestem immer stärker. Die verarbeiteten Bilder verlieren dabei freilich im Verlaufe des Arbeitsprozesses ihren digitalen Charakter, indem Baumgärtel sie zunächst digital zerlegt und dann in Form von Malerei, ganz klassisch mit Pinsel, Leinwand und Palette, neu wieder aufbaut.
Von Museumsleiter Eberhard Foest erhielt er einige alte rostige Sensenrohlinge – und verwandelte sie mit Hilfe von Blattgold in wahrlich goldige Sensenbananen, ebenfalls eine Reminiszenz an die ehemalige Sensenfabrik.
Die größte Freiheit aber, und um die geht es natürlich nach wie vor, erlauben ihm derzeit diejenigen der neuen goldenen Arbeiten, die aus fast monochromen vergoldeten Leinwänden bestehen, denn sie befreien ihn erstmals ganz und gar vom Zwang zur Banane. Weil er aber auch die Monochromie letztlich nicht kommentarlos hinnehmen und stehen lassen kann, schrieb er in eleganten Lettern das kleine, große Wort „Freiheit“ in eines dieser Bilder. Und dort unten am Rande - sollte dieser krumme kleine Schatten da womöglich nicht doch eine Banane andeuten? Ganz genau. Und so bekennt sich der Künstler noch hier, im Reich der neuen künstlerischen Freiheit, ironisch und im wahrsten Sinne hintergründig zu den Früchten, die ihn auf seinem langen Weg zu dieser Freiheit immer treu begleiteten – ausgerechnet Bananen.

Sabine Schütz, Eröffnungsrede am 4.9.2005 in Leverkusen

 

 

Mit seinen Übersprühungen diversifiziert Thomas Baumgärtel die Kunstgeschichte im Geist von Marcel Duchamp

Der Stecher nennt Thomas Baumgärtel ein manipuliertes Ölgemälde. Es misst 78 mal 108,5 Zentimeter, besitzt einen goldenen Rahmen und zeigt eine unbekleidete Schöne mit offenen Haaren und glückseligem Gesichtsausdruck, die sich auf einem weißen Laken rekelt. Ihre rechte Hand ruht auf ihrem rechten Oberschenkel, während sie die erhobene Linke einem Vogel darbietet. Das Laken ist so drapiert, dass es ihre Scham bedeckt. Am Fußende fällt das Bild aus Raum und Zeit. Die Aktdarstellung verliert an zentraler Bedeutung, die Komposition bekommt eine zweite Ebene. Ein Fremdkörper macht sich breit. Im Stil einer Comicfigur greift eine Art züngelnder Bananenlurch die Liegende an. Thomas Baumgärtel hat ihn plakativ an den rechten Bildrand gesprüht. Im Laufschritt steuert das poussierliche Geschöpf auf sein Ziel zu. Ganz so, als sei es der griechische Göttervater selbst – in tierischer Gestalt – , der da die Maid überrascht. Leda und der Schwan mögen das Vorbild gewesen sein für diese intime Szene mit kalkuliertem Stilbruch. Frevel, Frechheit, Firlefanz?

Völlig ungeniert setzt sich Thomas Baumgärtel in ein fremdes Nest. „Der Stecher“ ist kein Einzelfall. Er zählt zur Werkgruppe „Die Alten Meister und die Banane“: Übersprühungen, mit denen der Bananensprayer vor zehn Jahren begann. Grundsätzlich besitzen sie eine malerische Grundlage, die zunächst mit einer anderen Autorschaft als der seinen verbunden ist. Kontinuierlich bananisiert Baumgärtel die Arbeit von Kollegen. Im Falle der Übersprühungen sind deren Namen jedoch unbekannt. Hinlänglich im kollektiven Gedächtnis verankert sind dagegen die Motive: der röhrende Hirsch, der Sonnenaufgang im Gebirge, das Seestück mit Segelschiff. Zielgerichtet zwingt Baumgärtel diesen gefundenen, weitgehend wertlosen Bildern seine Bananenfiguren auf. Parallel dazu betrachtet er jedoch auch berühmte Bilder als Verfügungsmasse und Werk-Stoff. Weit trieb er bereits deren Verfremdung mittels Spraybananen, paraphrasierte Arcimboldo oder Picasso. Zentimetergroße Schablonen dienten ihm dazu, ikonisierte Motive zu verpoppen. Immer wieder – das ist Teil seiner langfristigen Strategie – macht Thomas Baumgärtel klar, dass in seinem „Fruitopia“ noch viele Früchtchen Platz haben.

Im Rahmen der Werkgruppe „Die Alten Meister und die Banane“ bedient er sich auf eine Weise kunsthistorischer Gegebenheiten, die seinem fruchtigen ‘uvre eine bittersüße Facette verleiht. Offenkundig hat ihn die Nostalgiewelle erreicht und die Lust an greller Kolportage nicht verlassen. Mit der Banane rückt Baumgärtel spitzbübisch Alten Meistern auf den Leib, die streng genommen keine sind. Im Zeichen seiner symbolischen Signatur eignet er sich systematisch bereits existierende, aber nicht weiter bemerkenswerte Bilder an: Ölgemälde und Reproduktionen, die er auf Flohmärkten oder in Trödelläden abstaubt. Nicht, um sie aufzuhängen, sondern um sie aufzufrischen. In einem kühnen Akt der Appropriation überführt Thomas Baumgärtel das Abgelegte in die herrschende Alltagskultur und macht es verfügbar für den aktuellen Diskurs.

Mit einem Landschaftsgemälde: „In den Tiroler Bergen“, begann er seine Verfremdungsaktion: „1994 habe ich erstmalig eine Reproduktion einer typischen Gebirgslandschaft, wie sie bayerische Haushalte zum Teil noch heute überm Sofa hängen haben, mit einer Banane übersprüht, weil ich dachte, das Bild ist so schrecklich, damit kann man sowieso nichts mehr anfangen.“(1) In der Folge besprühte Baumgärtel zunehmend Originale mit Bananen. In den Grauzonen der Kunstproduktion – zwischen Kopisten- und Fälscherware –, und staubigen Arsenalen, wo Hausrat von vorgestern vermodert, hat er herumgeschnüffelt und seine Funde mit poppigen Eingriffen für die zeitgenössische Anschauung aufbereitet. Insbesondere ruft ihn der Berg. Ölgemälden, die Gebirgslandschaften zeigen: ein klassisches Motiv der Landschaftsmalerei, verleiht er eine exotische Note, indem er etwa einen Berg Bananen hineinmogelt – oder ein ins Bananige gewendetes Logo von McDonald’s. Deshalb ist Baumgärtel noch nicht antiromantisch. Tatsächlich verhandelt er Aspekte stimmungsbetonter Malerei neu.

Die Wirkung solcher Anverwandlung ist verblüffend. In dem Moment, in dem die übersprühten Werke im Ausstellungszusammenhang rezipiert werden, bekommt der Akt des humoristischen Facelifts eine Legitimation. Mit einem Mal erfährt ein Bild, das zuvor nicht beachtet worden wäre, erhöhte Aufmerksamkeit. Im Sinne von Duchamp, der festhielt „dass ein Kunstwerk erst existiert, wenn der Betrachter es angeschaut hat,“ versetzt Baumgärtel Nichtbilder gleichsam in einen neuen Aggregatzustand, verhilft ihnen zu einer Existenz als Kunstwerk. Indem er Vorgefundenes bearbeitet, erschließt er dem Fundstück eine neue Rezeptionsebene. Die Übersprühungen sind planvolle Überhöhungen. Die Banane befruchtet buchstäblich die Komposition. Für die Kunstgeschichte zu-nächst verlorene Bilder kommen heraus aus ihrem Dunstkreis. Die phantasievollen Variationen der gelben Spraybananen, die sich an so vielen Museen und Galerien befinden und als Echtheitszertifikat gewertet werden, verschaffen den anonymen Werken eine Aura. Sie wird wesentlich konstituiert durch das Moment der Ironie. Der Bananensprayer jongliert damit versiert. Er war von Anfang an ein Provokateur mit clownesken Zügen. Seine Werkzeuge sind die optische Irritation und der visuelle Witz.

Um damit nach außen zu dringen, hat Baumgärtel die Ästhetik des Alltags studiert sowie aus dem Arsenal von Reklamefeldzügen geschöpft. Er reflektiert die Strategien der Konsumgüterindustrie. Die Werbung spült ins kollektive Bewusstsein Konsumartikel, respektive deren Bilder, solange, bis keiner mehr an ihm vorbeikommt. Baumgärtels Banane ist im Grunde nichts anderes als eine Niveadose oder eine Ray Ban-Brille. Man kann leicht leben ohne Nivea, ohne Ray Ban und ohne Bananen. Erst wenn man die Dinge an jeder Ecke sieht, will man sie haben. Wenn mehr als 4000 Kunstinstitutionen eine Spraybanane am Revers tragen, ist klar, dass die Begehrlichkeit wächst. Baumgärtels Kunst ist auch eine lakonische Antwort auf die Mechanismen der Markengesellschaft. Er beschäftigt sich mit Fragen von Mehr- und Marktwert. Nicht von ungefähr hat er seine Übersprühungen – auf Einladung der Galerie Brunnhofer – anlässlich der Linzer Veranstaltungsreihe „EchtFalsch“ erstmals öffentlich als Werkkomplex präsentiert. Dort ging es um Kunst als handelbare Ware sowie die Voraussetzungen dafür. Es ging um Praktiken der Konsumgüter-, Werbe- und Medienindustrie, um Markenverständnis und auch um Markenpiraterie. Baumgärtels Werkgruppe berührt einen erweiterten Kunstdiskurs. Man kann die Übersprühungen als Teil einer Werbestrategie für eine inzwischen gut aufgestellte Marke sehen. Der Markenname: Thomas Baumgärtel. Der Mann selbst ist seine Kunst. Nicht erst dann, wenn er im Bananenanzug auftritt, behauptet er die Einheit von Autor und ‘uvre. Baumgärtel ist sein eigener Kunstgegenstand aus dem Geist des Graffiti. Als solcher befriedigt er viele Bedürfnisse. Der Bananensprayer ist ein subtiler Spötter, der dem Kunstbetrieb mit seinem kultischen Tun und seiner komischen Sendung gleichermaßen den Spiegel vorhält. Ganz gleich, ob es Museumsmauern oder Politikerporträts sind, die Baumgärtel mit Solitärbananen besprüht oder aus einem kleinteiligen Bananenraster aufbaut – er bleibt ein Verstörer. Er ist der Kabarettist der Hausmauern, dessen Brettl die Banane (-nschale) ist. Ausrutschen tun darauf freilich immer die anderen.

Seine Vorgehensweise ist dabei immer schon eine konzeptuelle. Basis seines Tuns ist die Aneignung. Mit hintergründiger Heiterkeit nimmt er das Authentische ins Visier.

Ein wesentlicher Aspekt der Übersprühungen ist die Echtheitsfrage. Nun wird insbesondere die Kunstgeschichte die Frage nach Original und Fälschung bis zum letzten Atemzug beschäftigen, der der Disziplin vergönnt ist. Zwischen den Polen Könnerschaft und Kopie scheiden sich die Geister. Das wesentliche Kriterium bei der Beurteilung und Wertschätzung eines Artefakts bleibt seine Echtheit und Originalität. Mit seinen Ready-mades begann indes Duchamp diese Überzeugung zu hintertreiben. Er katapultierte die Kunstwissenschaft in eine neue, bis dahin beispiellose Dimension, nötigte sie, Beurteilungskriterien zu überdenken. Auch der Bananensprayer verlässt den konservativen Weg. Thomas Baumgärtel kultiviert das Rebellentum im Sinne eines entgrenzten Kunstbegriffs. Der erste Schritt waren die Bananengraffitis an Museumsmauern und Kunstgalerien. Mit seinen Übersprühungen Alter Meister stellt er seine Arbeit nunmehr in den Traditionszusammenhang der Ready-mades und knüpft an Duchamp an. „Das erste ausdrücklich als Werk Duchamps publikgemachte Ready-made“(2) ist ja die Mona Lisa mit Kinnbart und Schnäuzer. Auch Baumgärtel bearbeitet historische Gemälde in einem ironisch aufbegehrenden Akt. Duchamps Mona Lisa darf als seine Referenzfigur gelten. Bezeichnet als „Dada-Bild von Marcel Duchamp“ erscheint die Königin der Kunstgeschichte 1920 auf dem Titel von Picabias Zeitschrift 391. „Da Duchamps Original nicht vorliegt, macht Picabia für diesen Zweck eine Replik, fügt aber nur den Schnäuzer hinzu und vergisst das Bärtchen.“(3) Interessant, dass die Arbeit von Duchamp den Status eines Originals konzediert bekommen kann. Keine Rolle spielt dafür, dass der Wegbereiter der Moderne von einer Postkartenreproduktion der Mona Lisa ausgegangen war. Durch einen minimalen Eingriff – den verfremdenden Bart – wurde aus dem reproduzierten Leonardo ein gefeierter Duchamp. Dass der Künstler mit seiner Mona Lisa einen künstlerischen Coup landen konnte, ist drei Umständen zu verdanken. Die Verfremdung ist aufsehenerregend, der ’Fälscher’ kein Niemand, die Zeit war reif für die Tat. Duchamp erweiterte den Wirkungsradius der Mona Lisa. Er machte sie zur Ikone des Dadaismus.

Statt zu Barthaaren greift der Bananensprayer zu Bananen, statt zur Reproduktion zum Original. Eine subtile Form von Neodadaismus ist es, die Thomas Baumgärtel im Falle des Altmeisterzyklus praktiziert. Während der Dadaismus auf das harmonisch Schöne drosch und sich vom Wohnzimmerbild distanzierte, benutzt Baumgärtel das Wohnzimmerbild beharrlich, um das harmonisch Schöne zu befragen. Das Antibürgerliche und Satirische, das den Dadaismus kennzeichnete, prägt auch seine Übersprühungen. Indem er dem Wertlosen einen Wert verleiht, solidarisiert er sich zugleich mit dem Trivialen.

Die behauptete Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen ist sein Garant für erhöhte Aufmerksamkeit. Ein Satz von Rodin – geäußert angesichts von Géricaults „Derby in Epsom“ – kommt bei der Betrachtung der Übersprühungen in den Sinn. „Das Gesamtbild ist in seiner Gleichzeitigkeit falsch; es ist aber richtig, wenn die einzelnen Bestandteile nacheinander betrachtet werden. Und es ist nur diese Wahrheit, die zählt, weil sie es ist, die wir sehen, und die uns ins Auge springt.“(4) Das Gesamtbild ist auch bei Baumgärtel in seiner Gleichzeitigkeit falsch, doch der moderne synthetisierende Blick macht mühelos eine Ganzheit aus – auch und gerade dann, wenn die einzelnen Bestandteile nicht nacheinander betrachtet werden.

Rund 50 Übersprühungen sind inzwischen entstanden. Komische, aber auch melancholische Bearbeitungen von Kunstwerken, die sonst kaum noch jemand wahrgenommen hätte. Wie stets ist auch hier die Bananenspur, die Baumgärtel legt, Leitidee und Leitfaden. Anders als die Graffiti erregen jedoch die Übersprühungen bei empfindlichen Zeitgenossen keinen Zorn, sondern rufen eher ein leises Lächeln hervor. Thomas Baumgärtel produziert im Kontext dieser Sonderform seiner Bananenphilosophie Kitsch as Kunst can. Zivilisationsmüll verleiht er das Zertifikat der Zeitgenossenschaft. Vergessenes, Verdrängtes sowie Verlogenes wird zum Substrat für einen subjektiven Kunstbegriff, der Randständiges nobilitiert. Plötzlich erscheinen die alten Schinken brandneu. Sie wirken wie marktfrische Ware. Bananisiert erheben sie den Anspruch auf Ausstellbarkeit in seriösen Kunsträumen. Was beweist: Bananisierung ist ungleich Banalisierung, sondern das Gegenteil davon. Thomas Baumgärtel gelingen mit seinen krummen Dingern dialektische Rösselsprünge.

Im Lexikon steht die Banane zwischen banal und Banause. Banal finden können Baumgärtels Bananen fürwahr nur Banausen. Und die Bananisierung geht weiter. „Heute stehen mir über hundert verschiedene Metamorphosen der Spraybanane als Motive zur Verfügung“, sagt Baumgärtel.(5) Man darf auch diesbezüglich vom planmäßigen Gestaltwandel mit verführerischer Zielrichtung sprechen.

Ach Leda. O Mona.

Anmerkungen:

(1) Thomas Baumgärtel im Gespräch mit der Autorin am 9. Februar 2004.

(2) Duchamp und die anderen, Dieter Daniels, Köln 1992, S. 186.

(3) wie Anm. 2, S.186.

(4) zit. nach Paul Virilio, Das öffentliche Bild, Wabern 1992, S.7.

(5) wie Anm. 1. Thomas

Dorothee Baer-Bogenschütz
Quelle: Ausstellungskatalog Thomas Baumgärtel „Übersprühungen” 2004

 

 

Zeichen an der Wand

Etwa 3000 Schablonengraffiti mit seinem berühmten Bananen-Motiv hat der deutsche Künstler Thomas Baumgärtel seit 1986 vor die Eingangstuüren von Museen, Kunstvereinen und Galerien gesprayt. Das anfangs provozierende Signet ist längst zum begehrten Qualitätssiegel und inoffiziellen Logo der Kunstszene geworden. Inzwischen wünschen sich auch namhafte Galerien eine Banane von Baumgaärtel als Eingangsschild. Selbst das Museum Ludwig in Köln, das 1987 noch erbost über den ungebetenen Wandgast mit einer Strafanzeige drohte, erbat sich zwei Jahre später den Besuch des Bananensprayers. Geboren am 10.12.1960 in Rheinberg (BRD), studierte er „Freie Kunst“ in Köln. Das Bananenmotiv entdeckte Baumgärtel als Gag in seiner Jugendzeit. In seinen Studiengängen – Malerei und Kunstpsychologie – verfolgte er sein Bananenmotiv jedoch konsequent weiter. „Nichts ist eindeutig, logisch gerade – alles ist Banane“ – so die Kernaussage Thomas Baumgärtels. Für ihn wird die Spray-Banane zum Gesamtkunstwerk. „Die Banane enthält alles. An ihr kann man, wie in der Kunst, alles darstellen“. Nach vielen Experimenten mit dem Bananenmotiv fand Baumgärtel mit der Sprühdose ein neues Ausdrucksmittel und wurde zum „Bananensprayer“.Anonym signierte er ab 1986 Kunstorte unter dem Motto „Bananenprojekt Köln“ mit dem Bananensymbol, zeichnete Galerien und Museen mit diesem Mal, das ihm fortan als „Synonym für unsere krumme Wirklichkeitswahrnehmung“ diente. Jede Spray-Banane wurde fotografisch festgehalten und in jährlichen Ausstellungen präsentiert. Die zahlreichen Nachahmer seiner Pochoirs in zahlreichen europäischen Metropolen bestärken bis heute die Bekanntheit des Bananensprayers.

Quelle: Manfred Hainzl, Zeichen an der Wand (Höhlenmalerei – Felsbilder – Graffiti), in: Ausstellungskatalog des Lebensspuren-Museums Wels, 2004

 

 

Was soll der Quatsch!?
(Prälat Heinrich Barlage angesichts der Banane vor dem Kölner Dom am 5. August 1998)

Was wäre die Kunst ohne die Kunst? Diese scheinbar absurde Frage soll den Blick lenken auf die Verknüpfung des einzelnen Kunstwerks mit der Summe der anderern bestehenden Kunstwerke, ihrem widersprechenden oder anregenden Charakter. Die Frage soll den Blick in die Geschichte öffnen, die Gedanken den diversen Bildwelten nachgehen lassen, die die Vergangenheit bereithält, soll veränderte Interpretationen offenlegen. Erst das so angereicherte, quasi aufgeladene Bild vom Bild/Kunstwerk läßt die Fülle der Erscheinung und ihr sinnliches Erleben auch zum geistigen Genuß werden.

Hätte Thomas Baumgärtel seine Bananenskulptur in voller Ausdehnung -sie hätte dann sicherlich eine Länge von ca. 30 m erreicht- ausgeführt, und hätte er diese für sich stehen/liegen lassen, wäre sie eine mindestens um 30 Jahre verspätete Pop-Skulptur gewesen. So aber hat er zum einen seinen unaufgeforderten Beitrag zum 750-jährigen Jubiläum der Grundsteinlegung des gotischen Kölner Domes unter das Motto gestellt: “Wir lieben die Hohe Kirche.“ Zum anderen, und dies ist viel entscheidender, hat er mit seiner Bananenskulptur eine so große Nähe zum Dom gesucht, daß Kathedrale und Banane trotz widersprüchlichster Bestimmung und emotionaler wie geistiger Besetzung als Einheit gesehen werden müssen, ja, die Banane scheint sich zur Hälfte geradezu durch die Tiefe des Mittelportals der Westfassade ins Mittelschiff zu schieben, von außen ins Innere zu dringen. Banane und Kirche gehen tatsächlich eine Synthese/Symbiose ein. Bleibt es jedoch nur beim grotesken Augenschmaus? Oder steckt sogar mehr dahinter? Es ist bekannt, daß Thomas Baumgärtel mit mehr als 3000 gesprühten Bananen Orte zeitgenössischen Kunstbetriebs ausgezeichnet hat. Über mehr als ein Jahrzehnt seiner Sprayaktionen haben die Banane zum internationalen Kunst-Signet schlechthin sich mausern lassen. Was liegt also näher, die Aktion als Forderung zu verstehen, daß zeitgenössische Kunst in die Kirche von heute eindringen soll. Tatsächlich war die Kirche jahrhundertelang (einziger) Auftraggeber und Hort von Kunst. Erst am Anfang des 20sten Jahrhunderts führte die gegenstandslose Kunst durch die Entrückung des Menschenbildes zum Bruch mit dieser Tradition. Obwohl es heute vereinzelte, erfolgreiche Bemühungen gibt, diese Kluft zu schließen -so auch besonders intensiv in Köln- können sie aufs Ganze gesehen, nur ein Anfang sein.

So weit, so gut, wäre da nicht noch die erotische Ausstrahlung dieser Südfrucht, die sie in unserer Zeit -wenn auch spaßig- durchaus zum Phallussymbol avancieren ließ, Ausdruck männlicher Potenz. Jede Zeit und Kultur haben offenbar ihre Symbole: Türme, Dolche usw.. Es gibt kaum eine heutige Werbung ohne erotischen Unterton, ob es sich um Sekt, Parfüm oder Autos handelt.

Und ein weiteres, was kaum jemand weiß: Der Hohe Dom zu Köln ist nicht nur St. Peter seit vorromanischer Zeit geweiht. Er besitzt noch ein zweites Patromonium , nämlich das der Maria, der unbefleckten Empfängnis. Im Zuge der marianischen Frömmigkeit der Gotik hat man den neuen Bau auch der Muttergottes geweiht. Am 8. Dezember eines jeden Jahres wird das Patronatsfest begangen. Der Mittelpfeiler des Hauptportals, dem Thomas Baumgärtel die Banane zugeornet hat, weist -der Skulpturenprogrammatik des 19. Jahrhunderts folgend- zudem die visionäre Darstellung Mariens auf der Mondsichel auf. So entsteht zweifelsfrei eine “schockierende“ Verbindung des Namens der Heiligen Jungfrau Maria mit dem banalen, “bananen“ Phallussymbol. “Quatsch“ als Kommentar für Baumgärtels Aktion erscheint vor diesem Gedanken wirklich als eine harmlose Bezeichnung.

Überwinden wir den ersten Schock und lassen uns ein auf eine Verknüpfung des Widersprüchlichsten mit Blick in die Vergangenheit, so werden wir fündig in der Geschichte der Kunst. Der Themenkreis “Maria mit dem Einhorn“ wird z.B. auf wunderbaren Tapisserien aus dem 15. Jahrhundert im Musée Cluny in Paris vorgeführt. Das sagenhafte Einhorn ist ein weißes Pferd mit einem ca. 30 cm langen gedrehten Horn auf seinem Kopf. (In Wirklichkeit ist das “Horn“ ein Zahn des Narwales, eines zu den Delphinen gehörenden Zahnwales.) Das Einhorn gilt nach einer indischen Legende als seltenes, scheues und geheimnisvolles Tier. Es liebt die Einsamkeit und kann nur mittels einer nackten Jungfrau aus seinen Jagdgründen gelockt und gefangen werden, denn es wird vom Geruch der Reinheit dieser Jungfrau angelockt. Springt das Tier in den Schoß der Unberührten, kann es von den Jägern erlegt werden. So heißt es denn auch bei den Kirchenvätern in der mittelalterlichen patristischen Literatur sogar “In uterum Virginis singulare deposuit omnipotentiae cornu“. (In den Schoß/Leib der Jungfrau legte er das einzigartige Horn der Allmacht.) Damit wird das Einhorn zum Symbol der Reinheit Mariens, ihrer unbefleckten Empfängnis bei aller offenbar doch sehr erotischen Auffassung. Im Laufe der Jahrhunderte wird das Einhorn zu einem changierenden Symbol.

Es kann z.B. auf Christus verweisen oder auf den Teufel. Im Manierismus verliert sich der mittelalterliche Symbolgehalt zusehends und Einhorn-Szenen mutieren zum Ausdruck eines Pansexualismus. Fresken in den päpstlichen Gemächern der Engelsburg in Rom zeigen ganz eindeutige Darstellungen lasziven Charakters. Auch in einer Zeichenstudie Leonardo da Vincis wird der religiöse Anspruch gänzlich aufgegeben, so daß eindeutig sodomistische Anklänge sichtbar werden, wie sie die hellenistische Kunst mit dem Motiv “Leda und der Schwan“ (Zeus) hervorgebracht hat.

Während das ausgehende Mittelalter und die Frührenaissance sich noch damit begnügten, antikes Formengut in christliche Formen/Figuren zu verwandeln -Philosophen wurden zu Aposteln, antike Helden zu Heiligen- mußte man in der Renaissance, wenn man sich nicht bei der Darstellung der antiken Götter selbst der Beschuldigung des Heidentums aussetzen wollte, die heidnischen Götter mit christlichem Gedankengut verknüpfen. Für die erste Form des Umgangs mit dem Weltlich-Sinnlichen sei auf eine Apollo-Federzeichnung Albrecht Dürers verwiesen, die den Adam des bekannten Kupferstiches von 1504 vorbereitet. Apollo wird zu Adam, Zeus zu Christus, Herkules zu Samson usw.. Von größerem Interesse ist hier allerdings die zweite Form. Als Beispiel bietet sich Sandro Botticellis bekannte “Geburt der Venus“ , um 1480, an. Nach antiker Marmorskulptur als Vorbild ist die himmlische Venus als Göttin der Liebe ganz schwerelos wie eine Erscheinung aufgefaßt. Das Bild entstand im Umkreis der neuplatonischen Philosophen, dessen Kopf Marsilio Ficino (1433-1499) war. Er glaubte, daß das Universum und somit auch das Leben des Menschen mit Gott durch einen unaufhörlichen geistigen Kreislauf verbunden sei. Alle Offenbarungen dieser Welt, wie z.B. der antiken oder christlichen, seien eins. Schönheit, Liebe und Glückseligkeit seien Phasen dieses Kreislaufs und damit letzlich dasselbe. - So war es durchaus möglich, die himmlische Venus Botticellis als Maria anzurufen. In der göttlichen (nackten) Schönheit erkannte man die göttliche Liebe. Die himmlische Venus ist jedoch eine Göttin des Geistes, während ihre Zwillingsschwester mit dem Beinamen Urania eine Göttin des Fleisches ist. Man könnte sagen, beide seien zwei Seiten einer Medaille. - Der Blick auf die Symbole in Malerei und Dichtung, die Maria und Venus zugeordnet sind, zeigt in der (Turtel)-Taube, der Rose, der Muschel und dem Spiegel Übereinstimmung.

Venus und Maria, die beiden Göttinnen der Liebe, verbinden sich im Geiste; die irdische körperliche Liebe wird zum Ausdruck der himmlischen geistigen Liebe, ist erfahrbarer Abglanz der unendlichen göttlichen Liebe.

Gianlorenzo Berninis “Verzückung der Heiligen Theresa von Avila“ aus den Jahren 1645-52 in Rom verbindet in offenkundiger Weise die beiden Stufen miteinander. Mit offensichtlicher Lust steht ein Engel, der in anderem Zusammenhang als Amor aufzufassen wäre, mit seinem süßen Pfeil der Liebe vor der spanischen Mystikerin, die ganz entrückt und verzückt liegend sich einem sehr irdischen Genuß hingibt. Die Marmorgruppe scheint auf einer Wolke zu entschweben. Sie selbst beschreibt ihr visionäres Erlebnis: “Der Schmerz war so groß, daß ich laut aufstöhnte; doch zugleich empfand ich eine so unendliche Seligkeit, daß ich wünschte, der Schmerz höre niemals auf. Es war kein körperlicher, sondern ein seelischer Schmerz, wenn er auch bis zu einem gewissen Grad auf den Körper wirkte. Gott liebkoste auf das Zärtlichste meine Seele.“ Echte mystische Frömmigkeit führt hier zu einem Ausdruck höchsten sinnlichen Erlebens in weltlicher Schönheit. Welt und Gott scheinen in dieser Figurengruppe kein Widerspruch zu sein.

Zurück zur Banane und der Aktion von Thomas Baumgärtel. Durch den Blick in die Geschichte wird deutlich, daß der weltliche Eros in der religiösen Kunst in Zeiten als Bild- und Hilfskonstruktion parabelartig eine wichtige Rolle gespielt hat, die absolute göttliche Liebe faßbar zu machen. Die Verknüpfung scheinbar sich widersprechender Formen, das ästhetisch Abstruse, führte zur concordia discors, zur zwieträchtigen Eintracht. Mit der Banane im Hauptportal des Kölner Domes hat uns Thomas Baumgärtel ganz im manieristischen Sinne ein zeitgenössisches Bild für diese concordia discors gegeben.

Klaus Altmann, 1998

 

 

Leben=Kunst=Banane

Jahrelang war er einfach der „Bananensprayer“ und nur Insider wußten, wer sich letztendlich dahinter verbarg. Vor Jahren wäre es gefährlich gewesen, die Identität preiszugeben, denn angesichts seiner weltweiten Sprayertätigkeiten hätte er sich vor Prozessen nicht mehr retten können. Dennoch füllen die Verfahren, die man ihm anhängte, mehrere Aktenordner. Vor etwa zehn Jahren hatte Thomas Baumgärtel begonnen, eine Banane neben die Eingänge von Orten zu sprühen, in denen Kunst gezeigt wurde. Zunächst wurde dies als Sachbeschädigung angesehen, die Bananen wurden meist entfernt. Für Thomas Baumgärtel hieß die Gleichung ganz einfach Kunst=Banane, und er setzte sein Treiben unberührt fort, in der festen Überzeugung, daß sie sich auf die Dauer durchsetzen würde. Bis heute hat sie sich in der Tat immer mehr verbreitet, ist in Köln und Düsseldorf, in Frankfurt, Berlin, Paris, London und New York an Galerien und Museen zu finden, und so manche Newcomer Galerie ist mittlerweile besorgt, wenn dies Markenzeichen für seriöse Kunst nicht bald am Haus zu finden ist. Thomas Baumgärtels Idee hat sich durchgesetzt. Kunst ist Leben, Leben ist Banane, Banane ist Kunst. Die Banane ist die Essenz der Baumgärtelschen Philosophie. In ihr spiegelt sich aus seiner Sicht Weltgeschehen und Geschichte. Thomas Baumgärtel schafft die Welt neu aus Bananen. Sie hängt als Leichnam am Kreuz und türmt sich zur großen Form; sie fordert Fluxus-Kunst zum Dialog auf und schleicht sich in alte und neue Bilder hinein. Vor allem hier, in der Übermalung alter Ölbilder stellt Thomas Baumgärtel die unausgesprochene Behauptung auf, daß er keineswegs der Erfinder der Kunst-Banane ist.- Ganz im Sinne jener alten Aussage der Dadaisten: „Bevor Dada da war war Dada da“. Baumgärtels Übermalungen belegen: schon um die Jahrhundertwende trugen alte Bergbauernhöfe jenes damals so rätselhafte Signet, und Landschaftsbilder jener Zeit pflegten Bananen als Repoussoir zu verwenden. So belegen es Baumgärtels alte Meister. Quot erat demonstrandum. Und wer erinnert sich nicht mit einer gewissen Schadenfreude an Wolf Vostell bananengeschmückten „Ruhenden Verkehr“? Da forderte ein junger Dadaist einen älteren heraus und wollte wissen, ob der sein provokantes Aktionsrelikt aus Fluxuszeiten heute so richtig ernst nimmt und es als unberührbares, unveränderbares Kunstwerk ansieht, oder ob er die Wechselfälle des Lebens, mit denen die Fluxusbewegung jener Jahre immerhin gerne spielte, hinnehmen und akzeptierte werde. Wie wir wissen, bestand er auf Restaurierung. Dabei hätte die Banane doch qua definitionem lediglich nachträglich unverbrüchlich festgestellt, daß es sich hier um Kunst handelt. Auch die meist immer noch verständnislosen Passanten hätten es danach endgültig gewußt. Thomas Baumgärtel ging es dabei um den Dialog zweier Kunstkonzepte, deren Wirkungsprinzipien je für ihre Zeit verschieden, aber dennoch strukturell verwandt sind. Wolf Vostells Ablehnung war dabei ein genau so gutes Ergebnis, wie es seine Zustimmung gewesen wäre. Die Banane hat einmal mehr den Kunstbegriff herausgefordert und Klarheit geschaffen. In diesem Sinne wirkt sie in Thomas Baumgärtels Kunstvorstellung erhellend für die Wahrnehmung von Wirklichkeit.

Was die wenigsten, die die gesprühte Banane allerorten sehen, wissen, ist Thomas Baumgärtels weitergehende künstlerische Arbeit, die noch mehr, als das Bananensignet belegt, wie sehr die Banane für Thomas Baumgärtel zum Prinzip künstlerische Wahrnehmung wurde. Da gibt es nicht nur den Bananenwohnwagen, den Bananenfernseher, die Bananencouch und den Bananenstuhl, die Banane schleicht sich auch in den Sternenkreis des europäischen Banners oder präsentiert sich als große skulpturale Form. Am deutlichsten wird Baumgärtels Weltanschauung jedoch in seinen jüngsten Bildern, in denen er eine kleine gesprühte Banane gleichsam als Rasterpunkte verwendet, mit dem er seine Bilder alltäglicher Gegenstände, vom Wasserhahn bis zum weiblichen Akt aufbaut. Auch der Kölner Dom und ein großes Köln-Panorama bauen sich aus Hunderten und Tausenden von dicht nebeneinander und übereinander geschichteten Bananenformen auf. Die Welt, gesehen in Form von Bananen; hier ist der Beweis endgültig erbracht: Leben ist Banane. Thomas Baumgärtel hat seine dadaistische Aktion inzwischen weiterentwickelt zur Weltanschauung, zum künstlerischen Konzept. Was ursprünglich Behauptung war, die Banane sei Kunst, was weltweit selbst von Museumsleuten und Galeristen akzeptiert wurde, indem sich die Banane zum begehrten Signet und Qualitätssiegel mauserte, setzte Thomas Baumgärtel inszwischen in seinen Leinwandbildern konsequent um: Bei ihm formt sich Welt aus Bananen, ist die Banane Weltanschauung und Kunstanschauung zugleich.

Rheinhold Mißelbeck, Museum Ludwig Köln, 1996

 

 

Die Spraybanane

Zur Wirkungsgeschichte einer Kunstsymbiose

Andy Warhol hat uns die Suppendose geschenkt, genauer gesagt: wiedergeschenkt. Zunächst in gemalter Version, linkisch korrekt wie ein biederer Plakatmaler (sofern nicht - wie eigentlich immer bei Warhol - wohlkalkuliertes Understatement zu unterstellen ist), bald dann siebdruckschabloniert, mit stumpfen Glanzlichtern schwerfällig ornamentierten Schriftzügen und eher verhaltenen Rot- und Gelbtönen: Eblemata eines künstlerisch überhöhten Massenkonsumgutes, das - aus heutiger Sicht - in rührender Einfalt für das Credo an ein Alles-für-Jeden der 60er und 70er Jahre einsteht. Die in den Auslagen der Kaufhäuser massenakkumulierte Suppendose hat das Stilleben alter Ordnung mit all seinen ihm im Verlauf der Jahrhunderte zugewachsenen Implikationen abgelöst. Es hat die symbolträchtig arrangierten „Eatables“ durch Sortier-, Wasch- und Abfüllanlagen gejagt, versiegelt und - das Wichtigste - etikettiert. Dabei ist der Inhalt zusammengeschnurrt und hat sich auf die Oberfläche einer Papierform verflüchtigt: Chiffrenhafter Schatten seiner selbst, Markenzeichen eines Markenzeichens.
Und dann die Banane! Wen nimmt es Wunder, daß es wieder Warhol war, der ihr zu künstlerischen Weihen verhalf? Erinnerte sich Claes Oldenburg ihrer „nur“ als skulpturaler Großform, die seit den 60er Jahren über einem Lagerhaus im Osloer Hafen schwebt und dort auch heute noch zu sehen ist, so nobilitiert Warhol diesen Inbegriff der exotischen Frucht, indem er sie in bewährter Weise zum zentralen Motiv auf ansonsten unbelebter Bühne erhebt.
Geschaffen wird dieses Sujet freilich für das Cover einer Langspielplatte von „Velvet Underground“ ( 1966), zur künstlerischen Ausgestaltung und dienenden Umschreibung eines anderen zeitgenössischen Mediums: der Pop Musik, konserviert im schwarzen Rund der Vinylscheibe, eingetütet und folglich ebenfalls etikettiert im Quadrat des Pappcovers. Eine angewandte Kunst also, was aber bei Warhol, dem wandlungsfähigsten Chamäleon unter den Grenzgängern zwischen den zeitgenössischen Ausdrucksformen, nicht automatisch auf mindere Wertigkeit schließen läßt.
Mit der Banane, die beim besten Willen nicht in irgendeinen inhaltlichen oder programmatischen Einklang mit Band oder Songthemen gebracht werden kann, bricht Warhol rigoros mit den Darstellungsformen herkömmlicher Covers und apostrophiert in einem Willkürakt ein Nonsense-Symbol. Der Künstler stellt eine Verbindung her, die der Ratio spottet, unterläuft Erwartungshaltungen, unterminiert die Ernsthaftigkeit und Glaubenswürdigkeit von Informationsträgern, konterkariert Produktionsgestaltung, stellt Werbebotschaften in Frage. Einzig denkbare Konnotation: Die exotische Frucht auf weißem Grund steht rätselhaft fremd für eine vielen gleichermaßen fremd anmutende Musikrichtung. Und dabei beläßt Warhol es dann auch. Die Banane verschwindet wieder sang- und klanglos aus der Welt der Kunst und zieht sich in die angestammten Stellungen als nährstoff- und vitaminreiche Südfrucht zurück...
... um sich 1986 wieder aus der Deckung herauszuwagen: Zaghaft zunächst und auf die Kölner Topographie begrenzt, erobert sie im Dunkel der Nächte grauer Städte Mauern, nistet unversehens neben Eingängen und Schaufenstern, Foyers und Firmenschildern. Leicht überlebensgroß, in charakteristischer Krümmung, ein Prachtexemplar ihrer Gattung, prangt sie, schwarz konturiert, in leuchtendem Gelb auf Stein und Beton, Edelstahl und Holz.
Zunächst dürfte sie - außer den Hausbesitzern - kaum jemandem aufgefallen sein, allein die Tatsache, daß sie nur an den Fassaden von Galerien, Museen und anderen, der Kunst verpflichteten, Institutionen anzutreffen ist, läßt aufmerken. Sollte die mittels Schablone aufgesprühte Banane gar mit Kunst zu tun haben?
Daß dem so war und noch ist, hat sich mittlerweile herumgesprochen, und auch ihr Autor, Thomas Baumgärtel, ist längst enttarnt bzw. aus dem Schatten subversiver Umtriebigkeit herausgetreten, ja, die Banane hat längst etliche Portale und Türen an denen sie „Duftmarken“ gesetzt hatte, durchschritten und die Wände jener Stätten in Beschlag genommen, die sie zuvor nächtens „inkriminiert“ hatte.
So gilt es festzuhalten, daß seit einigen Jahren das Bild der gelben Frucht in die Kunstmetropolen der westlichen Hemisphäre ausgeschwärmt ist und Orte der Kunst akzentuiert hat, sich daheim im Atelier aber zugleich zu neuen, anderen Bildern verdichtet hat: Eine Omnipräsenz in der weltumspannenden Vereinzelung wie in der formgebenden, neue Motive kreiierenden Zusammenrottung.
Mit der vereinzelt auf die Fassaden von Ausstellungshäusern gesprayten Banane knüpft Baumgärtel entwicklungsgeschichtlich bei Warhol an. Wie dieser, schafft er per Willensentscheid einen neuen, artifiziellen Kontext, indem er zwischen zwei vollkommen unterschiedlichen Bedeutungsebenen einen Zusammenhang herstellt, der rational nicht nachvollziehbar ist. Tatsache ist, daß zwischen dem Abbild einer Banane und einer Institution, die zeitgenössische Kunst ausstellt, nicht der geringste Zusammenhang besteht ( Der auf Genauigkeit bedachte Chronist hält an dieser Stelle inne und schränkt ein: „jedenfalls bis 1986“ ).
Nicht von ungefähr hat Thomas Baumgärtel von Beginn an seine Bananen-Signets auch und vor allem Galerien appliziert. Und nicht von ungefähr begann dies zu einer Zeit, die durch einen wahren Gründerzeitboom an Galerien - zumal in Köln - gekennzeichnet war. Eine Galerie für Gegenwartskunst ist zunächst und zuallererst nichts anderes als ein leerer Raum und die unausgesprochene Willenserklärung eines selbsternannten Kunstliebhabers, dieses Vakuum mit bildnerisch-materialisiertem Anspruch zu füllen. Daß damit auch noch Geld verdient werden soll, rückt dieses Unterfangen dem Versuch nahe, die Quadratur des Kreises zu wagen. Ein namensgebendes Schild kündet von Firmensitz und Kunstwollen. Glaubwürdig und nachvollziehbar wird der Anspruch erst im Verfolg eines Programmes, also erst nach Jahren. Bleibt der wirtschaftliche Erfolg oder eine anderweitige Alimentierung aus, löst sich das hochgemute Vorhaben in Nichts auf, was gelegentlich auch ein hervorragendes Ausstellungsprogramm nicht verhindern kann. In diesem Fall, der zweitbesten aller Möglichkeiten, ist die Grundlage für eine Legende gegeben. Im drittbesten Fall spricht man - mit den Worten Theo Lambertins - vom „Grab des unbekannten Künstlers“. Der beste Fall ist so selten wie ein weißer Rabe und gereicht dem Galeristen zu Ruhm und - in der Regel magerem Auskommen. Eine den Laien Staunen machende Tatsache ist, daß die „Halbwertzeiten“ anspruchsvoller Gegenwartskunst oft umgekehrt proportional zur Überlebensdauer der sie promovierenden Galerien stehen.
Obwohl der Kunstort „Galerie“ die erste institutionalisierte Rezeptionsebene für zeitgenössische Kunst darstellt, ihr infolgedessen eine große Bedeutung als Informations- und Inspirationsquelle für den Kunstinteressierten zukommt, sie sich überdies flächendeckend zumindest in großstädtischen Bildungskontexten etabliert hat, stellt sie sich selbst für Bildungswillige oft genug als „Unraum“ dar: Die zumal in den 60er Jahren vielzitierte Schwellenangst, damals im Zusammenhang mit der Öffnung der Museen für eine breitere Öffentlichkeit diskutiert, lebt fort und wird durch Kunstwerke und die sie charakterisierenden Begriffsbildungen genährt, die in der Tat Vorkenntnisse vorraussetzen.
Thomas Baumgärtel wußte zweifelsohne um diese Hintergründe, als er 1986 seine erste Banane auf das Portal eines „Kunsttempels“ sprühte. Er wußte, daß diese durchaus profanen Mauern, „geadelt“ allein durch den schildgewordenen Anspruch, ein Hort der Kunst zu sein, dem Gezeigten jene Nobilitierung zuteil werden ließ, der die ausgestellten Kunstwerke ( kraft Willensentscheid und Handanlegung ihrer Autoren, der Künstler also, bereits aus der Ebene der Profanität hervorgehoben ) auf dem Wege der Kanonisierung bedürfen. Er wußte um die sinnstiftende und sinntragende Funktion der Institution „Galerie“, um die Notwendigkeit, der auf den ersten Blick oft kruden, rüden, unscheinbaren, verhaltenen, aber auch plakativen, dissonanten und widerborstigen, kurz: ungewohnt einherkommenden bildnerischen Interpretationsmodellen des Hier und Jetzt einen Rahmen zu geben. Einen Rahmen, der Abstand hält und Nähe schafft, der ausgrenzt und pointiert zugleich. Baumgärtel unterstützt und umspielt diesen Findungsprozeß, indem er Kunstetiketten appliziert, keine beredten Sachhinweise über Inhalt oder Verfallsdaten, sondern verklausulierte, das Bezeichnete kongenial verunklärende Verrätselungen: Ein absichtvolles Spiel mit dem - vordergründig - Absichtlosen, ein Rätsel den Rätseln beigegeben, ein weiteres Knäuel am Ariadnefaden.
Die Banane warnt: „Vorsicht Kunst! Betreten auf eigene Gefahr! Künstler und Galeristen haften nicht für ein abhanden gekommenes Selbstverständnis! Vorgefaßte Meinungen sind an der Kasse abzugeben! Keine Gewähr für selbstverschuldete Erschütterungen! Aber auch: „ Es darf geschmunzelt werden!“.
Es ist eine mittlerweile allseits bekannte und weitestgehend akzeptierte Tatsache, daß sich die Kunst des 20. Jahrhunderts - analog zu der Diversifizierung anderer gesellschaftlicher Aufgabenbereiche - auf die bildnerische Durchformulierung sehr spezifischer Themenstellung spezialisiert hat: Im Gefolge der Abstraktion wurden Farbe, Formen und Volumina thematisiert, Maß und Einheit durchdekliniert, Ideen und Begriffe versinnlicht, Zeit- und Handlungsabläufe anschaulich gemacht und Attituden kultiviert - um nur einige künstlerische Wirkrichtungen zu skizzieren. Seit ungefähr drei Jahrzehnten wird auch die künstlerische Betätigung an sich, vor allem aber auch der Wirkrahmen, in dem Kunst sich ereignet, hinterfragt und zugleich verbildlicht, ja in der extremen Exegese dieser Selbstbefragen wird der Künstler in persona Medium und Botschaft zugleich - man denke zum Beispiel an Aktionen von Joseph Beuys und James Lee Byars.
Thomas Baumgärtel reiht sich ein in diesen Kontext der Befrager und bildnerischen Kommentatoren. Sprachlos, weil kein Literat, stumm, weil kein Sänger, unaufgeregt, weil kein Performer, unpathetisch, weil kein Schauspieler. Er thematisiert Markenzeichen für Kunst. Wie der Teufel das Weihwasser meidet er Objektivität, entzieht sich der Eindeutigkeit, enthält sich des Kommentars, widersteht der Vereinnahmung und bleibt auf Distanz.
Fröhlich-ironisch verschwistert sich die Banane mit den Zufälligkeiten der kunstbehausenden Institutionen, ein Dorn im Auge ordnungsliebender Hausmeister und bierernster Kunstverweser. Manchem Museumsdirektor als zu fürchtender Präzedenzfall ein Ärgernis, denn auch Museen wurden solcherart ausgezeichnet, schließlich fungieren auch sie und vor allem sie als bedeutungsstiftende Aufführungsorte für jene Kreationen, die - ob man will oder nicht - zum Marsch durch die Institutionen antreten.
Aber auch umgekehrt wird ein Schuh daraus: Wie in jeder echten Symbiose profitiert auch die schablonisierte „Kunstmarke“ von der Magie der Orte, die sie bezeichnet und wird beziehungslos, wenn mit dem Kunstraum der Kunstkontext verlorengeht. Müßig zu betonen, daß ihr dann ordnungsliebende Kräfte schnellstens den Garaus machen.
Wie bereits angedeutet, hat Baumgärtel seit einiger Zeit die gelb-schwarze Frucht gleichsam zu konzentrierten Aktionen auf Bildformaten versammelt. Von Galerien und Museen aus aller Welt sind sie herbeigeeilt und haben sich zu Motiven wie „Goethe“, oder „Dürer´s Hase“ gruppiert, „richtigen“ Bildern auf Leinwand, die in der Art des Giuseppe Arcimboldo aus der Anhäufung von Einzelgegenständen Bilder „von etwas“ erstehen lassen, wobei allerdings der hier angesprochene Früchtemix allein auf dem Gütesiegel der Banane basiert.
Neben diesen Neuinterpretationen von Weltinterpretationen berühmter Kunstvorsassen hat Baumgärtel zahlreiche Motive geschaffen, die auf Fotos in Zeitungen und Zeitschriften rekurrieren. Diese Ikonen der Zeitgeschichte, die sehr wohl eine dezidiert politische Aussage transportieren können, erstehen aus einer Verknüpfung von Bananentexturen, die wie ein bewegtes schwarz-goldenes Raster die Figurationen einbinden, wobei die Grenze zwischen Wiedererkennbarkeit und Verflüchtigung ständig in der Schwebe zu sein scheint. Wie durch eine Folie gesehen, entblößt der „Bananenfilm“ die Bildinhalte bis auf die Knochen, „überzuckert“ sie aber zugleich mit einer Kunstschicht, die als Phrase enttarnt , was als Haltung angetreten ist - wie etwa bei einem Hitler-Bild. Und bei dem „Bananenbomber“ oder anderen Kriegsszenerien verdichten sich die schwarzgeränderten Bananensilhouetten zum unheilverheißenden Menetekel, verliert das Fruchtsymbol vollends seine exotische Unbeschwertheit.
Mit diesen formgebenden Bananenakkumulationen hat Baumgärtel den Weg in Galerien, Ausstellungshäuser und Sammlungen genommen. Das heißt aber nicht, daß er deswegen seine Tätigkeit als ambulanter Kunstmarkierer aufgegeben hätte. Mutet das Wirkungsfeld der international konspirativen Kunstbanane auch grenzenlos an, so wird man angesichts der im Atelier entstandenen Bananenbilder den Verdacht nicht los, das größere Universum eröffne sich in der Endlichkeit der zweidimensionalen Bildfläche - eben zuhause. Beide künstlerischen Handlungsstränge werden gleichermaßen gespeist aus Zeit- und Kulturgeschichte, modelliert und zugeschliffen im Kontext der sich ständig in Wandlung befindlichen Zeitgenossenschaft, die eine medial vernetzte und erschlossene ist, geprüft von skeptischen Augen, die vornehmlich in jenen eigentümlichen Bezirken spazieren gehen, die von der Banane bezeichnet werden. Es hätte auch eine andere Frucht sein können.

Klaus Flemming, 1996

 

 

Was hat Kunst, Banane und Seelisches miteinander zu tun?

über die Spraybanane -
ein modernes Straßenbild

Seit 1986 sind viele der besten Kunstorte weltweit mit der Spraybanane vernetzt. Damit wird das erste Mal in der Menschheitsgeschichte so umfassend ein Kurzschluß im Erinnerungsvermögen zwischen Kunst und einem einfachen positiven Symbol hergestellt. Zugleich wird mit dieser einfachen Spraybanane die allgemeine Vorstellung von dem, was normale Kunst ist, in Frage gestellt.

Die Kunst der Banane wehrt sich gegen lineares Denken. Sie gedeiht nur im Humus selbstbestimmter Orte der Kunst, sofern deren Besitzer nicht befürchten, sie zerstöre das Mauerwerk hehrer Kunst und zerfresse den traditionellen Kunstbegriff.
Meine Kunst mit der Banane läßt sich nicht gerade biegen und in eine Schublade stecken.

Die Banane enthält alles. An ihr kann man, wie in der Kunst, alles darstellen. Sie bringt mit ihrer Lebendigkeit und Vergänglichkeit das Leben, die Kunst und das Seelische besser und konzentrierter auf den Punkt.
Das Seelenleben der Deutschen gleicht eher einer krummen Banane, als einer geraden, kausalen Logik, wie es uns die Naturwissenschaftler weiß machen wollen.
Unser Leben ist Banane und Kunst !

Die Banane -sprich Kunst- macht uns deutlich, daß Krummes, Brechungen, Paradoxes notwendig zu jedem Seelischen und jeder Entwicklung dazugehören. Nichts ist eindeutig, logisch, gerade -alles ist Banane !
Sie bringt uns den Gedanken näher, daß wir praktikable Konstruktionen aus „Unmöglichkeiten“ leben - etwas bleibt, indem es sich verändert, etwas bindet, indem es bricht.
Sie macht spürbar, daß Gestaltung und Umgestaltung von Wirklichkeit zugleich unendlich sind und doch nur in einem entschiedenen Werk praktiziert werden können.

In der Kunst habe ich die Möglichkeit, Produktionen bis zum Extrem durchzuführen.
Weitmöglichste Reduzierung und größtmögliche Vielfalt.
Das winzige, triviale Objekt Spray-Banane ist sowohl Projektionsfläche, als auch Spiegelung einer Gesellschaft, die Kunst als Gebrauchsartikel betrachtet. Der Kunstbetrieb erhält in dieser Gesellschaft sein Zeichen.
Ich versuche weiter eine innovative Kunst voranzutreiben, die auf Auseinandersetzung drängt, die extrem die öffentlichkeit sucht, Kulturen verbinden will und Kunst wieder außerhalb von Museen und Galerien lebendig macht.
Die Spraybanane im öffentlichen Raum ist eine ständige, sich immer weiter verändernde Ausstellung, die auf der Straße dem „wahren“ Leben ausgesetzt ist.

Thomas Baumgärtel

 

 

Vielfarbiger Bananenpointillismus

Die Bananenschablone, ca. 10 cm klein, ist zum Pinselersatz für den Kölner Künstler Thomas Baumgärtel geworden. Die Schablone und der Spray wurden darüber hinaus in den letzten Jahren zu seiner ganz ureigenen signifikanten Handschrift.

Dabei unterlag seine Bilderwelt einer permanenten Verwandlung und Entwicklung. An dieser Stelle lohnt es sich diese nachzuerzählen. 1986 setzte Thomas Baumgärtel in Köln seine erste Spraybanane. Doch zunächst empfand man dieses Symbol als Beschmutzung von Tür und Wand. Thomas Baumgärtel gegenüber hagelte es Anzeigen wegen Sachbeschädigung. Innerhalb der Kunstszene aber gab es immer mehr Stimmen, die diese Banane als positives Symbol definieren wollten. Museumsdirektoren und Galeristen begriffen, dass mit dieser Banane dem Kunstsuchenden der rechte Weg zu weisen war. Andererseits aber war die Baumgärtel`sche Banane in der Lage, den allgemeinen Kunstbegriff in Frage zu stellen. So kann die Banane eigentlich alles. Mit ihr und an ihr kann man, wie in der Kunst, "alles" darstellen. Ist die Banane frisch, dann ist ihre Form straff und prall und die Farbe leuchtend gelb, wird sie nicht zeitig gegessen, verwelkt sie, verliert ihre Farbe, wird schwarz und verfault.

Nach 15 Jahren finden wir heute die Banane von Thomas Baumgärtel überall auf der Welt. Mittlerweile aber scheint es, als ob der Künstler diesen Einzelbananenprozess abgeschlossen hat. Als kritische Äußerung gegenüber einer Institution fängt er nun ganz konsequent an, Bananen wieder wegzunehmen, indem er sie "sprengt".

Vielleicht liegt dies aber auch daran, dass die Banane längst nicht mehr Einzelsymbol in seinem Malprozess ist. So ist Baumgärtels Weg hin zur Malerei bis hin zum Bild exakt nachzuzeichnen. Es entstanden zu Beginn der 90er Jahre erste Außengemälde und Außenplastiken und 1994 ist sein Weg hin zum Bild besonders stark spürbar. Unter dem Titel "Die alten Meister und die Banane" findet man diese Frucht hineinkomponiert in Bilder, die Kunstgeschichte geschrieben haben. Mitte der 90er Jahre schafft er mit seinem Bilderzyklus "Nie wieder Krieg ­ nur noch Bananen" den Weg hin zur reinen Malerei mit der Bananenschablone. Aber die Farbigkeit ist immer noch reduziert auf schwarz und gelb, im Vordergrund steht das Abgebildete, ob nun der Kölner Dom, der Mensch oder der Gegenstand. Immer wieder fragt die Kunstszene: handelt es sich hier um Graffiti, oder aber ist es wirklich Malerei, etwa eine Malerei des großen Widerspruchs, eines Widerspruchs, den Baumgärtel von Anfang an gesucht hat?

Mit seiner aktuellen Bildersequenz der Früchtestilleben erinnert sich Baumgärtel der Zeit an den Kölner Werkschulen und seines Lehrers Franz Dank. Dieser wollte immer, dass Baumgärtel Früchtestilleben auf die Leinwand bringt. Doch schon damals sprüht er lieber Bananen auf der Straße. Nun ist Baumgärtel zumindest thematisch zu seinem Lehrer zurückgekehrt. Der Bananenpointillismus versetzt ihn in die Lage, Bilder "sprayend" zu malen. Früchtebilder entstanden, dem Vierjahreszeiten-zyklus entsprechend, voll barocker Farbigkeit und überdimensioniert ­ auch Pop-Art-Geruch ausstrahlend.

Baumgärtel hat jetzt für sich die Farbe entdeckt. Nein, nicht vorsichtig und mit Zurückhaltung, sondern mit aller Konsequenz in der Umsetzung. Die Farben seiner Früchte sind die der weißen Johannisbeeren aus dem elterlichen Garten, es sind die der Kokosnüsse aus Mexiko oder z. B. die der Mandarinen aus Mallorca, allesamt in voller praller Reife. Der schönste Moment der Frucht ist festgehalten, danach vergeht ihre Schönheit, wenn sie nicht gepflückt wird. Baumgärtel überhöht die Wirkung seiner Bilder noch dadurch, dass er die Bildränder übermalt und der Leinwand dadurch Tableauxcharakter gibt. Alles schwebt, ist unmittelbar präsent und doch auch entrückt.

Baumgärtel ist ein Illusionist. Ob Mandarine, Apfel oder Birne ­ im Grunde ist doch alles Banane!

Michael Euler-Schmidt, 2001
Kölnische Galerie des Kölnischen Stadtmuseums

 

 

Leben und Banane. Eine Kunst

Thomas Baumgärtel, mittlerweile ein bekannter Name in der internationalen Kunstszene, hat 1986 seine erste Banane gesprayt. Der 1960 in Rheinberg am Niederrhein geborene Künstler hat also schon in seinen Anfängen jenes Elementarzeichen gefunden, mit dem er bis in die Gegenwart herein seine Bilderwelten schafft. Das Signet der Banane ist nicht neu. Bereits Andy Warhol hat es 1966 als Cover für Pop-Musik verwendet. Freilich wirkte die exotische Frucht in diesem Kontext rätselhaft fremd. Dann verschwand die Banane von der Bildfläche. Bis sie am 12.10.1986 in Rheinberg wieder auftauchte. Seitdem markierte der Bananensprayer weit über 2000 Kunstorte in Europa und Amerika, die Außenwände von Galerien, Museen und anderen Kunstinstitutionen mit diesem Emblem.

Wurden dem jungen, noch unbekannten Künstler seine dadaistischen Graffiti-Aktionen mit der gesprayten Schablonen-Banane anfangs krumm genommen und strafrechtlich verfolgt, so ist mittlerweile jede Kunststätte, vom Museum Ludwig in Köln bis zum Guggenheim-Museum in New York, von den großen Galerien in den Metropolen bis zu entlegenen Kunstorten wie der NN-fabrik im Osten Österreichs, stolz, diese "Bananalität" als Gütesiegel für Kunst zu tragen. Seit 1986 sind also weltweit die besten Kunstorte mit der Spraybanane vernetzt.

So schablonenhaft banal diese gelbe Frucht mit der schwarzen Rasterung auch sein mag, hat sie doch im Laufe der Jahre vielfältige Ausformungen erfahren: Von der einfachen Spraybanane über die Neuinterpretation von alten Meistern, von der provokanten Umdeutung von Symbolen wie dem Kreuz zu einem Bananenkreuz oder der deutschen Flagge zur Bananenrepublik bis hin zum Bananenbomber oder einem Hitler-Porträt aus Bananen. In diesen Spray-Bildern in Acryl transportiert Baumgärtel auch politische Aussagen, indem er die sinnüberfrachtete Ernsthaftigkeit der Motive persifliert.

Es geht in seinen Arbeiten nicht nur um eine provokative Auseinandersetzung mit Kunst und Welt, sondern auch um ein befreiendes Lachen über den Witz, den diese Bilder haben. Freilich gibt es auch Kunstkritiker, die meinen, diese Kunst ist ein Witz oder noch schärfer, Baumgärtels Aktionen seien kunst- und künstlerfeindlich. Manche Gegner scheuen sich auch nicht, von einer langweilig-faulen Bananen-Banalität zu sprechen, der es an inhaltlicher Substanz mangle. Doch viele ernsthafte Kunsttheoretiker respektieren mit Hochachtung die Radikalität, mit der Baumgärtl sein Konzept umsetzt und durchzieht. Die Banane ist nicht nur auf Kleinformate gesprayt und als Bild an den Innenwänden von Galerien und Privathäusern zu sehen, sondern auch in überdimensionalen Installationen, als skulpturale Objekte aus Kunststoff, Holz und Beton sowie auf großflächigen Wänden von Speditionshallen und Türmen.

Es ist, als ob die Banane allgegenwärtig sei. Dem Künstler entgeht kaum ein Motiv aus dem alltäglichen Leben, das nicht mittels Banane gestaltet und verwandelt wird: Ob das nun ein Tennisball ist oder eine Weinflasche, der deutsche Bundesadler, Ex-Bundeskanzler Kohl oder der Kölner Dom, ein Waschbecken oder ein Businessman, das World Trade Center (1996) oder ein liegender Akt, eine Hakenkreuzbanane oder Beuys, Dürers Hase oder Goethe oder auch, wie zuletzt, seine Stillleben (Früchtebilder als vierfarbiger Bananenpointillismus).

Gemäß seinem Motto: "Unser Leben ist Banane und Kunst" verwandelt Baumgärtel die gegenständliche Welt in eine bananenreale Bildwelt. Und, so der Künstler weiter wörtlich: "Die Spraybanane im öffentliche Raum ist eine ständige, sich immer weiter verändernde Ausstellung, die auf der Straße dem wahren Leben ausgesetzt ist."

Siegmund Kleinl, 2002

 

 

Thomas Baumgärtel

Der Deutsche Thomas Baumgärtel, bekannt als der "Bananen-Sprayer", sprüht seit 1986 in vielen europäischen Städten mittels Schablone neben Eingängen von ihm geschätzter Kunstorte eine etwa 35 cm große Banane. Anfangs mehrmals wegen wilden Sprayens vorbestraft, markierte er inzwischen weltweit, und es gilt als Auszeichnung, wenn Baumgärtel durch Setzung seines Zeichens eine Galerie goutiert. 1992 war er erstmals in Wien tätig. Ende 2002 bemalte er einen Straßenbahn-Zug der Wiener Linien. Auch bei seinen sonstigen Bildwerken und Installationen bedient sich der Künstler des Bananen-Sujets und stellt diesen manchmal Wortbotschaften bei, wie erst jüngst als Protest gegen den Irak-Krieg: "War is...(hier nun das Bananensujet statt des Wortes ´Banane`)". Einmal ist Baumgaertel das für KünstlerInnen seltene "Kunststück“ gelungen, die sogen. Menschen von der Straße hinter sich zu vereinen. Er besprühte 1993 mit Freunden die in Köln aufgestellte Plastik des Fluxus-Künstlers Wolf Vostell, ein in Beton eingegossenes Auto, mit Bananen-Sujets. In der Bevölkerung hatte das gute Resonanz, doch Konservative und der Künstler Vostell waren sehr aufgebracht. Dabei hatte Vostell selbst noch 1969 die Sprengung von Kunstgegenständen gefordert. Er bestand auf die Entfernung der Bananen. Daraufhin errichtete Baumgaertel auf der Plastik ein Zelt und veranstaltete einen „Bananen-Streik". Er sammelte währenddessen an die 1000 Unterschriften von BefürworterInnen des neuen Zustands der Plastik. Bald darauf überstrich eine unbekannt gebliebene Frau die besprühte Plastik mit weißer Farbe. Baumgaertel reagierte, indem er das nun bereits sehr populäre Kunstwerk blau anstrich und wiederum Bananen sprühte, die er jeweils in einen Kranz aus gelben Sternen setzte. Im Sommer 1993 entfernte die Stadt Köln schließlich das extrem gewichtige Kunstwerk und ließ es von einer Spezialfirma restaurieren. Immerhin, Baumgaertel hatte die Volksmeinung mobilisiert und somit in den Alltag der Menschen eingegriffen, ja sogar die Menschen selbst zur Mitbestimmung der Gestaltung "ihres" öffentlichen Raumes bewegt. Da ich mit Baumgaertel in mail-Kontakt stehe, bestätigte er den Wahrheitsgehalt dieser Vorkommnisse und teilte mir dazu mit: "Ein Begründer der Bewegung Fluxus, die die Notwendigkeit der ständigen Veränderung, ja, sogar Sprengung von Kunst propagiert, war gekränkt, da sein statisches Denkmal berührt wurde....". Dass Baumgaertel trotz seiner Sympathien seitens der Öffentlichkeit im Kunstbetrieb kein leichtes Leben hat, zeigt folgende Mitteilung in der selben mail: "Letzten Donnerstag ist was vorgefallen, was mir in den ganzen Jahren Sprühens noch nicht passiert ist: ausgerechnet bei der Eröffnung der Ausstellung ´Tanz um die Banane` in Hamburg [diese war gegen den Irak-Krieg gerichtet, Anm. Th.N.] werde ich beim Sprühen einer Friedensbanane am Eingang des Museums von dem Dirkektor körperlich angegriffen. Noch bei den Eröffnungsreden heuchelte jeder der Redner, wie schlimm der Angriffskrieg von Bush wäre [...]." . Für die Volkskunde liegt hier der für den Kunstbetrieb paradoxe Fall vor, dass ein moderner Künstler im "Volk" mehr Verständnis und Sympathien erhält als von den "Köpfen" der Kunstverwaltenden.

Auszug aus der Diplomarbeit in Europäischer Ethnologie von Thomas Northoff ("Österreichisches GraffitiArchiv für Literatur, Kunst und Forschung"), September 2003

 

 

„Heer“ ein Kunstwerk von Thomas Baumgärtel
Morphologische Beschreibung von Hans-Christian Heiling, 1996

Im ersten Kontakt hat das Werk eine erschreckende, unheimliche Wirkung. Fast lebensgroß sieht man sich einer Masse von Soldaten gegenüber, die sich über die Bildränder hinaus nach oben, links und rechts unendlich erweitern läßt. Geordnet in Reih und Glied steht man ihnen wie einem anonymen Block gegenüber und spürt förmlich das Dröhnen des Gleichschritts. Wie ein Mann stehen sie dicht an dicht, man kann keine Gesichter erkennen, das sind keine Individuen mehr. Sie warten auf einen Befehl, um sich wie bei einer Parade nach dem „Stillgestanden!“ wieder in Marsch zu setzen. Die machen einem Angst, man denkt an Krieg und an das Töten.

Schon nach wenigen Augenblicken jedoch, beginnt sich diese gut geordnete Einheit aufzulösen. Die Angst vor den Soldaten wird zu einer Angst um die Soldaten.

Das Stramme verschwindet, die Gesichter wirken weich, als könne man auf sie zugehen und sie würden einen nett behandeln. Man kann ihnen plötzlich nichts Böses mehr abgewinnen.

Ihre Macht verkehrt sich in Ohnmacht. Wie von einer starken Bombenexposion erschüttert, geht eine Welle durch sie hindurch.

Bildet die erste Reihe noch halbwegs eine ordentliche Reihe, so wird es doch nach hinten immer wirrer und unordentlicher.

Sie lassen die Schultern hängen, haben die Köpfe gesenkt. Dies ist nun kein heroisches Heldenbild mehr, wie man es von früher kennt. Vielmehr wird man an eine abgekämpfte Schlacht erinnert, eine Armee hinter Stacheldraht, die in die Gefangenschaft geht. Sodaten, die an einem Grab stehen, oder auf ihre Verurteilung warten.

Die Situation, in der sich die Soldaten nun befinden, löst Angst aus, die Stimmung wird immer beklemmender.

Das Individuelle kehrt wieder in die Männer ein. Jeder ist in Etwas nachdenklich versunken, hat seinen Beruf und hat mit den Zielen von Kaiser oder Führer nichts zu tun. Sie wirken wie ein Haufen Menschen in Uniformen gepreßt, obwohl sie nichts damit anfangen können.
Die Uniformen wirken wie Dekor, wie ein Umhang, den man über den Einzelnen legt. Die Auflösungstendenz wird so stark, daß nur noch die Koppel, wie Patronengurte, die anfängliche Ordnung aufrechterhalten. Ohne die Koppel werden die Uniformen zu Jackets.

In der oberen linken und rechten Bildecke ist die Auflösung am stärksten. Wie ein Sog zieht es die Männer auf der Flucht dort hin. Gleichzeitig kann dort aber auch eine Auflösung ganz anderer Art beginnen. Handelt es sich bei der Explosion, die die Männer erschüttert, um eine Atomexplosion, gegen die sie auch ihre Helme nicht schützen kann, die jetzt eher wie weiche Mützen wirken, beginnen die Sodaten dort schutzlos im gleißenden Licht zu verbrennen.

Es macht sich ein starkes Mitleid mit den Soldaten bemerkbar, man wird an Feldpostbriefe des Urgroßvaters aus dem 1. Weltkrieg erinnert, wo er über das Leid und den Schrecken des Krieges berichtet.

Es gelingt dem Künstler den Betrachtern einen Blick auf und hinter die Kulisse von Slogans wie „Wir sind eine starke Truppe“ werfen zu lassen.

Auch wird die im Rahmen des Tucholskizitates „Soldaten sind Mörder“ entstandene Angst der jetzigen Regierung verständlich, die befürchtet, ohne desindividualisierende massenbindende Bilder nicht mehr genug Bürger zu finden, die auf andere schießen oder sich erschießen lassen wollen.

Gelingt es der Banane zunächst unbemerkt vom Betrachter selbigen in eine starke Wendung von der Angst vor den Soldaten hin zur Angst um die Soldaten hineinzuziehen, so entläßt sie ihn oder sie nach ihrer Entdeckung „das sind ja alles Bananen!“ aus dem Thema mit einer Drehung ins Positive. „Man nimmt es wieder leichter“ , beginnt zu lächeln, trotzdem die Fragen „wer soll die Minen in Bosnien räumen“ oder „was soll ich mit meinem Bruder machen, der ist ein Waffennarr und fand die Bundeswehr wunderbar“ bestehen bleiben.

 

 

„Immer wieder Krieg“
Gerard Kever (Künstler der Mülheimer Freiheit), 1996

Kunstgeschichte machen !? Warum sie nicht geschehen lassen? Passieren wird sie sowieso. Bekanntlich immer dort, wo man sie nicht vermutet. Kunstgeschichte ist eine Anhäufung von Ereignissen, die damals niemand erwartet hätte.

Graffiti-Symbole auf Häuserwänden z.B. waren Ende der 70ger Jahre in Deutschland verpönt, asozial. Wer hätte damals gedacht, daß sie es heute wieder sind. Diesmal weil diese schier unbändige Flut von jugendlichem Ausdruckswillen sich vielfach über Urbanes legt, ohne dabei den Gesetzen modischen Wechsels zu gehorchen. Ganz zu schweigen von Innovation, geht hier eine festgelegte, langweilige Spray-Ästhetik jetzt schon in die zweite, dritte Generation.

Dennoch. Abzusehen gewesen wäre: Die unweigerliche Auslese (aus dieser Flut) von einigen Individualisten durch die gängigen Kulturinstitutionen - Keith Haring, Kenny Scharf, Jean Michel Basquiat, (Naegeli ?).
Abzusehen gewesen wäre auch noch der unweigerliche Transfer von der Hauswand auf die agile Leinwand (Naegeli ?).

Aber wie hätte man vorhersehen sollen, daß das Reduzierteste und Anspruchloseste aller Symbole, man scheut es sich auszusprechen, -ja, eine banale Banane, zu einem allseits assoziierten Synonym für einen so komplexen und anspruchsvollen Lebensbereich wie Kunst werden könnte. Wer versucht hier ein Projekt zu schaffen, das Reduktion und Komplexität als Gegensätze aus ihren Angeln zu heben versucht ?
Wer versucht so etwas zuwege zu bringen ? Wie kam die Idee dazu zustande ? Gab es einen Auftraggeber für eine solche Sisyphusarbeit ? Oder war hier ein genialer Vorausdenker am Werk ? Ein Werk, das nun immerhin schon über zehn Jahre andauert !
Hätte man nach hartnäckigen zehn Jahren damit rechnen können, daß sich dieses Symbol von der Außenwand ablöst und wie von einem Zellteilungsmechanismus getrieben eine leinwandfüllende Virtuosität produziert ? Welche Spürnase hat der Banane eine ganze Dekade Reifezeit verordnet, damit just in dem Moment, wo sie als kleinster gemeinsamer Nenner größte Popularität erreicht, morphologe Bildwelten aus ihr heraus mutieren ?
Steckt eine Absicht hinter einem so weitläufig angelegtem Konzept ? Oder ist hier jemand auf völlig unbedarfte Weise in spontanem Kontakt mit jenen Kräften, die Innovation nicht planen, sondern geschehen lassen ?

Ein Werbefeldzug seitens der Industrie, selbst noch für den gebräuchlichsten aller Artikel, hätte unmöglich so großzügig angelegt sein können. Aber natürlich stellt sich die Banane ja auch in den Dienst einer wesentlich immateriellen Sache. Es geht um Kunst. Und wer könnte schon mit Sicherheit sagen, was das ist. Auch wenn sie sich immer wieder in käuflichen Exponaten dingfest machen läßt, so bleibt ihre dahinter liegende Idee doch dem ständigen Antagonismus der Avantgarde treu: immer das, von dem man glaubt es sei keine Kunst, wird unweigerlich zur Kunst.

Und genau hier tritt unsere Banane auf die Bildfläche - im wahrsten Sinne des Wortes. Denn dieses fundamentale Gesetz schließt unweigerlich auch das Paradox mit ein: die Banane definiert. Sie stempelt und brandmarkt das, was partout frei sein will. Eine Schablone für das Grenzenlose. Sie begeht das Sakrileg, das festlegen zu wollen, was sich nicht festlegen lassen will.
Natürlich ist die Banane schlau genug dieses Unterfangen nur zu simulieren. Ihre ironische, postmoderne Symbolik, die der physikalischen Wahrheit Tribut zollt, daß nichts im Universum gerade ist, ist prädestiniert zu diesem Spiel mit der Kunst. Nichts ist endgültig, auch nicht das Ideal der Freiheit. Und selbst wenn sich die gesamten Egokräfte der Kunst an genau dieser Stelle zusammenbrauen.

Baumgärtels Spiel weiß geschickt mit diesen Idealen umzugehen: wer immer sich dem Anspruch seiner Banalität entgegensetzt, verschafft der Banane Aufwind. Und wer glaubt, durch Ignorieren die Banane ausgrenzen zu können, wird sich jetzt erst recht über sie ärgern. Unverfroren macht sie nun ihren Anspruch auf die abendländische Tafelmalerei geltend. „Nie wieder Krieg“ ist eine Kampfansage an die formalisierte Freiheit der Kunst. Daß hier die Hintertüre der Moderne benutzt wurde, um den Elfenbeinturm der Kunst zu stürmen, tut der Sache keinen Abbruch. Daß eine zehn Jahre lange Feldarbeit das Fundament geschaffen hat, um eine Verknüpfung im kollektiven Erinnerungsvermögen zwischen Kunst und einer Schablone zu etablieren, zeugt von respekteinflößendem Weitblick.

Ein über Zeit und Raum so großzügig angelegter chirurgischer Eingriff an einer so empfindlichen Assoziationsschwelle vorzunehmen, ist historisch gesehen in der Kunst bislang unbekannt. Daß sich die Banane nun, an einem so entscheidenden Wendepunkt ihrer Karriere, als erstes dem Thema Krieg zuwendet, ist von honorem Interesse.
Denn was, um es kurz zu machen, ist mehr „bananas“ als Krieg.